© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

„Besessen von der Wahrheit“
Ein spektakulärer Deal: US-Milliardär Elon Musk kauft den Meinungs-Marktplatz Twitter – und will ihn radikal verändern
Björn Harms

Was anfangs nur als verrückte Idee eines Exzentrikers galt, wurde am Montag Gewißheit: Der Vorstand von Twitter hat das 44 Milliarden US-Dollar schwere Übernahmeangebot von Elon Musk akzeptiert. Damit sichert sich der reichste Mann der Welt das wohl politisch einflußreichste soziale Netzwerk – mit dem Versprechen, tatsächliche Meinungsfreiheit zurückzubringen. Auf der politischen Linken ist die Panik groß. Plötzlich zeigt sich auch die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, besorgt „über die Macht der großen Social-Media-Plattformen“. US-Senatorin Elizabeth Warren sprach nach der spektalulären Übernahme von einer „Gefahr für unsere Demokratie“. Der New York Times-Reporter Talmon Joseph Smith berichtete unterdessen von einer aufgebrachten Twitter-Belegschaft. „Ich fühle mich, als müßte ich mich übergeben“, zitierte er eine Angestellte. „Ich möchte wirklich nicht für eine Firma arbeiten, die Elon Musk gehört.“

Doch was folgt nun tatsächlich? Sind die Tage der Zensur auf dem Kurznachrichtendienst gezählt? Verlassen verärgerte Linke in Scharen die Plattform, wie es in einigen Tweets bereits angekündigt wurde? Oder spielt hier nur ein Milliardär mit seiner Macht? Das Tauziehen rund um die Übernahme hatte ein längeres Vorspiel: Bereits 2017 hatte Musk auf den Vorschlag eines Twitter-Nutzers, er solle den Dienst, den er offensichtlich so liebe, doch einfach kaufen, scherzhaft geantwortet: „Wieviel kostet das?“ Nun ist daraus Realität geworden. Musk ist bekanntermaßen ein begeisterter Twitter-Nutzer. Häufig fällt er durch seinen makaberen Humor oder seine scharfe Kritik am „woken“ Zeitgeist auf. Doch immer wieder tauchen auch Vorwürfe auf, der 50jährige nutze den Dienst für seine eigenen Zwecke, da er häufig kursrelevante Informationen zu seinen Unternehmen und Geschäften poste. 2018 ließ die US-Börsenaufsicht SEC deshalb dem Multimilliardär gerichtlich vorschreiben, daß er seine Tweets vor der Veröffentlichung von Teslas Anwälten prüfen lassen muß. Vor einigen Monaten drohte der Streit erneut zu eskalieren, da Musk offensichtlich gegen die Auflagen verstieß, obwohl er bereits „wiederholt schriftlich abgemahnt“ wurde, wie die SEC erklärte. 

Nur wenige Tage später ließ Musk (JF26/20) die Gerüchteküche brodeln. Er denke „ernsthaft darüber nach“, eine eigene Social-Media-Plattform aufzubauen, da er um die Meinungsfreiheit besorgt sei, verkündete der Tesla-Chef. Am 4. April folgte dann eine erste Sensationsmeldung: Elon Musk gab bekannt, einen Anteil von 9,2 Prozent am Unternehmen Twitter gekauft zu haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Aktienpaket einen Gegenwert von rund 2,7 Milliarden US-Dollar. Der CEO von Twitter, Parag Agrawal, berief Musk nur einen Tag später in den Vorstand des Konzerns und sprach von einer Bereicherung. Musk wiederum sorgte mit kryptischen Tweets für Verwunderung. Er fragte sich vor seinen 82 Millionen Followern öffentlich, ob das Unternehmen nicht tatsächlich im Sterben liege. Kurze Zeit später hieß es: Musk wolle nun doch nicht in den Vorstand eintreten. Unterdessen verklagte ein angefressener Twitter-Aktionär Musk, weil dieser es angeblich versäumt habe, rechtzeitig seine über fünfprozentige Beteiligung an Twitter offenzulegen, als er dazu verpflichtet war. Die Verzögerung habe es Musk ermöglicht, mehr Twitter-Aktien zu einem niedrigeren Preis zu kaufen und die Verkäufer von Twitter-Aktien um höhere Gewinne zu betrügen, so der Kläger. Musk zeigte sich unbeeindruckt.

Dann ging es Schlag auf Schlag: Der Milliardär war schließlich bereit, 54,20 Dollar (50,74 Euro) pro Aktie zu zahlen, um gleich das gesamte Unternehmen zu kaufen. Der Gegenwert: rund 41,1 Milliarden Euro. Knapp 23,8 Milliarden Euro an Fremdkapital sollen mehrere Banken bereitstellen, vor allem sein lanjähriger Partner Morgan Stanley. Rund 17,3 Milliarden Euro will der Tesla-Chef aus Eigenkapital investieren. Damit würde das Unternehmen, welches der SpaceX-Chef anschließend von der Börse nehmen will, komplett in seinen Besitz wandern. Ob eine der beiden Vertragsseiten sich bereit erklärt hat, im Falle eines Scheiterns der Transaktion eine Auflösungsgebühr zu zahlen, ist nicht ganz klar. Bloomberg jedoch berichtet, daß Musk in die Pflicht genommen wird, wenn das Geschäft scheitert oder er aussteigt. 

Der Quellcode von Twitter soll öffentlich zugänglich werden

Näheres über seine Pläne mit Twitter gab der Unternehmer schließlich am 14. April bekannt. Er gab ein ausführliches Interview bei der TED-Konferenz, einer der wohl wichtigsten Technologieveranstaltungen weltweit. „Twitter hat sich de facto zu einer Art Marktplatz entwickelt“, erzählte Musk. Sein „starkes intuitives Gefühl“ sage ihm, „daß eine öffentliche Plattform, die ein Höchstmaß an Vertrauen genießt und alle Menschen mit einschließt“, für „die Zukunft der Zivilisation äußerst wichtig“ sei. „Die wirtschaftlichen Aspekte sind mir dabei völlig egal“, versicherte der Mann, dem Forbes ein Vermögen in Höhe von 205 Millarden Euro zurechnet. Schließlich sei er „besessen von der Wahrheit“.

Twitter solle künftig seine Algorithmen als Open Source veröffentlichen, gibt er preis. Der zugrundeliegende Quellcode müsse öffentlich einsehbar sein, damit jeder ihn selbst prüfen könne. Es dürfe „keine Art von Manipulation hinter den Kulissen“ geben, „weder algorithmisch noch manuell“. Gelöscht werden solle nur im Notfall. Den Rahmen hierfür würden die Gesetze einzelner Staaten bilden. „Ich denke, daß wir nur sehr zurückhaltend sein wollen, Dinge zu löschen, und sehr vorsichtig mit dauerhaften Sperren“, so der Unternehmer. Zudem sagte er den sogenannten Spambots den Kampf an. Was das genau heißt, ist offen. Müssen sich nun alle Nutzer mit Handynummer und E-Mailadresse anmelden, wie es schon der Fall ist? Oder will der Paypal-Mitgründer sogar die Anonymität der User in Frage stellen? Dann würden sich für viele Konservative und Nicht-Linke ganz neue Probleme stellen.

Am folgenden Tag, dem 15. April, versuchte der Social-Media-Dienst nochmals die Übernahme abzuwehren. Das angegriffene Unternehmen verpflichtete sich zwar zu einer „sorgfältigen, umfassenden und wohlüberlegten Prüfung“ des vorliegenden Übernahmeangebots, antwortete jedoch mit einer sogenannten „Giftpille“. Diese Form der Verteidigung sieht vor, daß andere Aktionäre zusätzlich Anteile günstig kaufen können, wenn ein Aufkäufer die mehr als 15 Prozent zusammenhat. Geholfen hat es nichts mehr. 

Offen ist nun die Frage, wer das Unternehmen leitet und ob es Entlassungen gibt. Der Unmut unter vielen „woken“ Angestellten ist jedenfalls spürbar. Noch sind sowohl CEO Parag Agrawal als auch der Vorstandsvorsitzende Bret Taylor weiterhin im Amt. In den vergangenen Wochen kritisierte jedoch Musk wiederholt die Art und Weise, wie der Vorstand das Unternehmen führt. Der ehemalige Twitter-Chef Jack Dorsey, ein Freund von Elon Musk, sprang ihm kürzlich bei: Die „Funktionsstörung des Unternehmens“ sei immer wieder der Vorstand gewesen. Musk aber führt zahlreiche weitere Unternehmen. Seine Kapazitäten dürften begrenzt sein. Viele dieser Details sollen nun in einem Bericht geklärt werden, den Twitter bei der US-Börsenaufsicht einreichen muß. Die SEC muß dem Deal, genau wie die Aktionäre, noch endgültig zustimmen. Erst dann ist die Übernahme unter Dach und Fach.





Medienstimmen zum Verkauf von Twitter an Elon Musk

„Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß die Zukunft der Zivilisation auf dem Spiel steht und daß die Übernahme von Twitter durch Elon Musk einen potentiell bedeutenden Wendepunkt darstellt.“

Kevin Hassett, Ex-Berater Trumps, im US-Magazin „National Review“ am 21. April

 

„Vor allem die, die auf Twitter das meiste zu sagen haben, nämlich die pseudoliberalen Neo-Jakobiner, befürchten eigentlich, daß Elon Musk die Meinungsfreiheit wieder aufleben lassen könnte. Wir sprechen nicht davon, Dinge zu erlauben, die unter das Strafgesetz fallen. Aber wir wissen, daß die Algorithmen, die zum Einsatz kommen, oft auch Sachen löschen, die eigentlich keine bösartigen Meinungsäußerungen sind.“

Anna Schneider, Journalistin, bei „Welt TV“ am 22. April


„Facebook zeigt anschaulich, wie gefährlich eine Plattform sein kann, wenn nur eine Person, in diesem Fall Mark Zuckerberg, alleine bestimmen darf. Elon Musk traue ich noch weniger zu, verantwortlich mit einer Plattform umzugehen, die für viele Menschen so bedeutend geworden ist. Ich halte ihn weder charakterlich für die passende Person, noch möchte ich in einer digitalen Welt leben, in der Milliardäre sich einfach mal eine solche relevante Plattform kaufen und nach ihren eigenen Wünschen umformen können.“

Markus Beckedahl, Netzexperte, auf „netzpolitik.org“ am 14. April


„Ich habe Angst vor den Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik. (Musk) scheint zu glauben, daß in den sozialen Medien alles erlaubt ist. Damit die Demokratie überleben kann, brauchen wir mehr Inhaltsmoderation, 

nicht weniger.“

Max Boot, Autor, in der „Washington Post“ am 14. April

   

„Warum ist die Entscheidung so wichtig? Nicht weil es die plötzliche Ankunft der Oligarchie einläutet. Dafür ist es zu spät; die Oligarchie ist bereits da. Jedes große Technologieunternehmen wird bereits von Milliardären kontrolliert. (...) Der Grund, warum der heutige Verkauf von Twitter eine so große Nachricht ist, der Grund, warum er sich als Wendepunkt in unserer Geschichte erweisen könnte, ist, daß Elon Musk nicht mit dem Rest der Milliardäre in der Technologiebranche übereinstimmt. Anders als die Chefs von Facebook, Google, Apple und Amazon glaubt Elon Musk an die Meinungsfreiheit.“

Tucker Carlson, Kommentator, in seiner Sendung beim US-Sender „Fox News“ am 25. April


„Hä? Wieso gehört am Ende alles immer reichen Wichsern, die machen können was sie wollen?“

Jan Böhmermann, Moderator, auf Twitter am 25. April


„Die Konservativen, die wollen, daß Elon Musk Twitter kauft, sind nicht daran interessiert, die im wesentlichen oligarchische Struktur der amerikanischen Gesellschaft zu ändern oder auch nur ernsthaft in Frage zu stellen. Anstatt sich für ein Programm breit angelegter struktureller Reformen einzusetzen, akzeptieren sie, daß die Macht des Geldes weiterhin eine grenzenlose Herrschaft ausüben wird.“

Matthew Walther, Kolumnist, im US-Magazin „The American Conservative“ am 21. April