© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Sanktionen und Sabotage
Rußland/Ukraine: Moskau verschärft die Lage, und auch der Westen dreht an der Eskalationsschraube
Marc Zoellner

Ist der Krieg gegen die Ukraine in Rußland angekommen? Gleich zwei schwere Explosionen erschütterten die russische Stadt Brjansk, rund 70 Kilometer nördlich der ukrainischen Grenze, in der Nacht zum Montag. Beide betrafen je ein ziviles und ein militärisches Öldepot der Stadt. „Ich verstehe noch immer nicht, wie das möglich war“, kommentierte der ukrainische Journalist Illia Ponomarenko auf Twitter. „Entweder hat die Ukraine ein gottgleiches Drohnen-Einsatzteam, oder die Russen waren das selbst.“ 

Laut Kreml wurde Brjansk lediglich Opfer einer Reihe unglücklicher Unfälle. Die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti allerdings brachte nur Stunden später Bilder zweier nahe der russischen Stadt Kursk abgeschossener ukrainischer Drohnen türkischer Bauart. 

Überdies verunglückte nur drei Tage zuvor unweit von Brjansk ein russischer Zug auf einer vom Militär stark frequentierten Bahnlinie. Auch hier ließ das Ausmaß der Schienenzerstörung Journalisten über mutmaßliche Sabotage spekulieren.

Zumindest der russischen Staatsführung kommen die jüngsten Rückschläge in ihrem Krieg gegen die Ukraine höchst ungelegen. Ein Schuldiger an dieser militärischen Misere wurde rasch ausgemacht: So hatte noch in der vergangenen Woche Rußlands Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, die Vereinigten Staaten  zur Einstellung ihrer Waffenlieferungen nach Kiew aufgefordert. Die US-Waffenlieferungen trügen „nicht zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts bei“, zitiert die russische Nachrichtenagentur Interfax den Außenpolitiker. Sie seien der Versuch, „den Einsatz noch weiter zu erhöhen, die Situation noch mehr zu verschärfen, noch mehr Verluste zu sehen.“

Die Antwort der USA auf die russische Forderung bestand erwartungsgemäß aus einem Paket weiterer Sanktionen: Bereits Anfang April bestätigte der US-Kongreß in einer Gesetzesverabschiedung ein früheres Dekret von US-Präsident Joe Biden für ein Importverbot russischer Energierohstoffe. 

Vergangene Woche folgte die Sanktionierung Dutzender weiterer russischer Staatsbürger, einer Bank sowie erstmalig eines Entwicklers für Kryptowährungen. „Die Vereinigten Staaten setzen sich dafür ein, daß keine Vermögensanlage, egal wie komplex sie gestaltet ist, vom Putin-Regime dazu benutzt werden kann, die Auswirkungen der Sanktionen auszugleichen“, erklärte das US-Finanzministerium. 

Putin lobt russische Unternehmen für deren „respektable“ Arbeit 

Führende russische Finanzexperten warnen bereits vor drastischen Konsequenzen der Sanktionen auf die Stabilität des Rubel und der heimischen Wirtschaft. „Die gegen Rußland verhängten Sanktionen wirkten sich auf die Situation im Finanzsektor aus, kurbelten die Nachfrage nach Fremdwährungen an und verursachten Notverkäufe von Finanzanlagen, einen Geldabfluß von Banken und eine steigende Nachfrage nach Waren“, mahnte zuletzt die Vorsitzende der Zentralbank Rußlands, Elwira Nabiullina, Mitte April in einer Brandrede vor dem russischen Parlament. Bereits Ende Februar mußte Nabiullina den Leitzins ihrer Bank auf zwanzig Prozent anheben, um dem Werteverfall des Rubel entgegenzuwirken. Allein zwischen Februar und März hatte sich die Inflationsrate in Rußland auf gut siebzehn Prozent fast verdoppelt; die Preise für Obst und Gemüse stiegen im Schnitt sogar um mehr als ein Drittel. 

Doch während selbst der Bankenverband des Institute of International Finance (IIF) davor warnt, die russische Wirtschaft könne infolge der Sanktionen auf das Niveau des Jahres 2005 zurückfallen, sieht Rußlands Präsident Wladimir Putin die Situation weiterhin unter Kontrolle. „Die russischen Unternehmen haben bislang sehr respektabel reagiert“, erklärte Putin am Montag in einer Ansprache und kündigte an, „die russische Wirtschaft soweit wie möglich zu unerstützen und alle Möglichkeiten dafür zu nutzen, einschließlich einer Verringerung des staatlichen Verwaltungsaufwands.“