© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Nach der Wahl ist vor der Wahl
Frankreich: Präsident Emmanuel Macron muß seinen Blick schon auf den nächsten Urnengang im Juni richten
Friedrich-Thorsten Müller

Am Ende war das Ergebnis weit weniger knapp, als manche Umfragen der vergangenen Wochen vermuten ließen. Der Amtsinhaber Emmanuel Macron entschied am Sonntag die Stichwahl um die französische Präsidentschaft mit 58,5 Prozent für sich und kann damit fünf weitere Jahre regieren. Seine Herausforderin, die Rechtspolitikerin Marine Le Pen, erreichte respektable 41,5 Prozent der Stimmen. Nicht nur für Frankreich hatte diese Entscheidung das Potential für eine Zäsur, auch für Europa und die EU war es der wohl wichtigste Urnengang seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016.

Doch von Euphorie war auch beim Sieger nicht viel zu spüren, als er sich gegen 21.30 Uhr vor der Kulisse des Eiffelturms auf dem Marsfeld an seine Anhänger und das Volk wandte. Immerhin hatte sich der Abstand zu seiner Herausforderin gegenüber dem letzten Mal quasi halbiert (2017: 66,1 zu 33,9 Prozent). Vor allem aber war sein Sieg nicht flächendeckend, hatten sich doch weite Teile Nordwest- und Südfrankreichs mehrheitlich für Le Pen entschieden. Insgesamt lag die Rassemblement-National-Kandidatin in 30 von 94 Departements vorn. 

Damit sind für Macron aufgrund des Mehrheitswahlrechts auch die Chancen, in zwei Monaten bei den Wahlen zur Nationalversammlung wieder eine satte Mehrheit zu bekommen, gesunken. Das bisher nur mit fraktionslosen acht von 577 Abgeordneten vertretene Rassemblement National (RN) könnte im Juni dagegen in Fraktionsstärke im Palais Bourbon anklopfen und für schwierige Mehrheitsverhältnisse sorgen.

Macron betonte entsprechend in seiner kaum zehnminütigen Rede, ab sofort „der Präsident aller Franzosen“ sein zu wollen. Er verbat sich deshalb auch das Auspfeifen der Wähler seiner Gegenkandidatin. Er gelobte, künftig vieles anders machen zu wollen, um Frankreich und dessen absteigender Mittelschicht „fünf bessere Jahre“ zu bescheren. Marine Le Pen, die ihre Wahlparty zwei Kilometer entfernt in einem Jagdschlösschen im Bois de Boulogne ausrichtete, gab sich dagegen kämpferisch. Ohne sich mit Gratulationshöflichkeiten aufzuhalten, bewertete sie das Ergebnis „an sich“ unter dem Jubel ihrer Anhänger als „einen spektakulären Sieg“. Darüber hinaus beginne sofort der Wahlkampf für die Nationalversammlung und sie wolle mit all ihrer Energie ihr „Engagement für unser Land“ fortsetzen, „da Macron nichts unternehmen werde, um die Spaltung Frankreichs zu überwinden“.

Eric Zemmour will künftig mit Marine Le Pen kooperieren 

Die Kandidatin des ersten Wahlgangs der CDU-Schwesterpartei „Republikaner“, Valérie Pécresse, gratulierte dem Präsidenten in einer Videobotschaft zur Wiederwahl. Dabei mahnte sie, die Macron in der Stichwahl gegen Le Pen unterstützt hatte, „sich in seinem Erfolg nicht zu täuschen“. Es seien „keine Stimmen von Anhängern, sondern solche aus Verlegenheit“, die ihm zur Mehrheit verholfen hätten. Auch die zwei Wochen zuvor unterlegene Kandidatin der Sozialisten, Anne Hidalgo, übermittelte „republikanische Gratulationsgrüße“, rief aber gleichzeitig alle „demokratischen linken Kräfte“ zur Zusammenarbeit für die Parlamentswahl auf, um Macrons erneuten Durchmarsch zu verhindern. Der im ersten Wahlgang mit 22 Prozent drittplatzierte Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon forderte die Wähler sogar auf, ihn mit Stimmen für seine Partei im Juni zum Premierminister zu machen.

Aufschlußreich war auch die erste Reaktion des zuvor mit 7,1 Prozent viertplazierten Rechtsaußen Eric Zemmour, der Le Pen in einer ersten Stellungnahme vorrechnete, nun die achte Wahl in Folge verloren zu haben. Gleichzeitig rief er aber zur Zusammenarbeit des RN mit seiner neuen Partei „Reconquête“ und „kooperationswilligen Republikanern“ und anderen Rechten für die Wahl der Nationalversammlung auf.

International wurde das Wahlergebnis in den meisten westlichen Hauptstädten mit Erleichterung aufgenommen. Politiker aus aller Welt gratulierten Macron zur Wiederwahl. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden beglückwünschte sogar der russische Präsident Wladimir Putin Macron zu seinem Wahlerfolg. Lega-Chef Matteo Salvini gratulierte dagegen Le Pen: „Allein gegen alle anderen, entschlossen, kohärent und lächelnd, haben Sie die Stimmen von 13 Millionen Franzosen erhalten, ein noch nie dagewesener Prozentsatz. Gemeinsam vorwärts, für ein Europa, das auf Arbeit, Familie, Sicherheit, Rechten und Freiheit basiert.“ Der österreichische EU-Parlamentsabgeordnete Harald Vilimsky (FPÖ) sprach außerdem von einem „Ruck“ durch die über 40 Prozent Le-Pen-Stimmen in Frankreich und damit von einer Stärkung der „föderalen Kräfte“ in der Europäischen Union.

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Foto: Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte zelebrieren ihren Sieg bei der Präsidentschaftswahl: Selbst Wladimir Putin gratulierte