© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Angespannte Situation
Israel: Schwere Unruhen, palästinensischer Raketenhagel und eine Regierung im freien Fall
Manfred Schwarz

Das gibt es in Israel nur alle 33 Jahre: Drei hohe Festtage von drei Weltreligionen sind in diesem Jahr auf einen Tag gefallen – Juden feierten Pessach, Christen das Osterfest und Muslime den Fastenmonat Ramadan. Deswegen wurden Spannungen erwartet – besonders auf dem Jerusalemer Tempelberg. Mit Steinen, Stöcken und Stühlen – die zuvor in der al-Aqsa-Moschee gestapelt worden waren – griffen dann auch Hunderte arabische Jugendliche die israelische Polizeistation an. Etliche der Aktivisten schwenkten Hamas-Fähnchen. Die Palästinenser warfen auch Steine hinunter auf den niedriger gelegenen Platz vor der Klagemauer, wo traditionell die Juden beten. 

Die israelische Polizei ging mit Gummiknüppeln, Blendgranaten und auch mit Gummigeschossen gegen die arabischen Randalierer vor. Auch in der Woche nach Ostern kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem Tempelberg – nach ähnlichem Muster wie am Karfreitag.

Der Tempelberg steht vertraglich unter muslimisch-jordanischer Verwaltung, Israels Behörden sind für die Sicherheit zuständig. Juden dürfen nach den geltenden Vereinbarungen die Anlage zwar besuchen, dort aber nicht beten. Die Palästinenser werfen Israel immer wieder vor, es wolle Rechte gläubiger Juden auf der heiligen Stätte ausweiten. 

Die ohnehin angespannte Situation wurde am 20. April zusätzlich verschärft. Hunderte zionistische, rechte Israelis demonstrierten in Jerusalem; sie wollten zum Tempelberg durch das Damaskus-Tor marschieren – einem Haupteingang zum arabischen Teil der Altstadt, wo sich traditionell anläßlich des Ramadan gern viele Araber versammeln. Die israelische Polizei stoppte den jüdischen Zug, um Zusammenstöße mit arabischen Aktivisten zu verhindern. Ab dem 22. April sperrte die israelische Polizei für zehn Tage sogar für Nicht-Muslime den Zugang zum Tempelberg. 

Dazu kommt es immer wieder zu sporadischen palästinensischen Raketenangriffen auf Israel. Die meisten, abgefeuert im Gaza-Streifen, werden aber durch das Raketen-Abwehrsystem „Iron Dome“ in der Luft abgeschossen. Nach den ersten Raketenattacken flog die israelische Luftwaffe zudem als Vergeltung bevorzugt auf militärisches Gelände der Hamas Luftangriffe. 

Die neuerlichen heftigen Ausschreitungen auf dem Tempelberg stürzen die Viel-Parteien-Koalition des israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in eine Krise: Die unter Juden recht umstrittene arabische Ra’am-Partei legte nach den militanten Auseinanderadersetzungen auf dem Tempelberg ihre Beteiligung an der Regierungskoalition im israelischen Parlament auf Eis. Falls die Polizei weiterhin so massiv gegen die „Demonstranten“ vorgehe, will die Ra’am-Fraktion mit ihren vier Parlamentssitzen ihre Zusammenarbeit mit der Bennett-Regierung beenden. Sollte die arabische Fraktion ihre Drohung wahrmachen, wäre das Kabinett Bennett am Ende, weil die Regierung dann nicht einmal mehr die Hälfte der Knesset-Abgeordneten hinter sich hätte. Rund zehn Monate ist die jetzige Acht-Parteien-Koalition im Amt, die durch radikal-linke, liberale, konservative und rechtsradikale Fraktionen getragen wird, deren Grundpositionen zu einem großen Teil weit auseinander liegen. Das gilt insbesondere für die arabische Ra’am-Partei.

Anfang April verließ die Abgeordnete Idit Silman aus der rechtsgerichteten Jamina-Partei des Ministerpräsidenten Bennett die Koalition. Silman warf dem Kabinett vor, zu links positioniert zu sein und die „Erosion der jüdischen Identität“ zuzulassen. Kurz nach ihren Erklärungen kritisierte auch der Jamina-Minister Nir Orbach die Bennett-Regierung scharf: die vernachlässige zunehmend die jüdischen Interessen in Judäa und Samaria im Westjordanland.