© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Rußland-Sanktionen: Enteignungen nur als Ultima ratio
Gefährliche Präzedenzfälle
Dirk Meyer

Die Direktinvestitionen von BASF, Continental, Miele oder VW in Rußland, die Abhängigkeit von günstigem Erdgas und Erdöl – waren es Fehler? Oder war es eine friedensaffine Spekulation, die leider nicht aufging? Die Sanktionen wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind heftig und findig: das Einfrieren von Oligarchen-Vermögen; die Sperrung des Zugangs zum westlichen Kapitalmarkt; die Blockade der Devisenreserven der russischen Zentralbank oder die Treuhandschaft für Gazprom Germania. Faktisch handelt sich dabei um Enteignungen bzw. um enteignungsgleiche Eingriffe. Heißt es doch in Paragraph 903 BGB: „Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“

Anfang April standen 877 Namen auf der EU-Sanktionsliste, darunter auch Putin-kritische Personen. Vermögenswerte von 29,5 Euro sind seitdem eingefroren – sprich: Die Eigentümer haben keine Verfügungsgewalt mehr. Allein die 13 beschlagnahmten Jachten sind über zwei Milliarden Euro wert, Hubschrauber, Immobilien und Kunstwerke knapp 6,7 Milliarden Euro. Transaktionen von 196 Milliarden Euro sind blockiert – eine de facto Enteignung. Was werden die Lehren sein – ein Wohnsitzwechsel, Strohmänner, Firmengeflechte? Die Sperre der internationalen Reserven der russischen Zentralbank trifft aber den Nerv der russischen Wirtschaft. Sie hält Devisen im Wert von etwa 630 Milliarden Dollar, davon dürften etwa 300 Milliarden bei westlichen Notenbanken „eingefroren“ sein. Lediglich die Goldreserven (etwa 140 Milliarden Dollar) – alle auf dem Territorium Rußlands lagernd – und die bei der chinesischen Zentralbank befindlichen Renminbi (umgerechnet 85 Milliarden Dollar) dürften frei verfügbar sein. Damit wird es schwieriger, die nun in Schieflage geratenen russischen Banken und Unternehmen zu stützen.

Was könnte die Bundesbank hieraus lernen? Von den 3.360 Tonnen Goldreserven lagern 1.236 Tonnen bei der US-Fed sowie 413 Tonnen der Bank of England. Aber halten die trans­atlantischen Freundschaften ewig? Und was ist mit den deutschen Target-2-Forderungen (1.150 Milliarden Euro im Februar 2022) gegenüber dem Euro-System? Lassen sich hier „Strafmaßnahmen“ einer Mehrheit der Euro-Staaten im Falle einer erneuten Staatsschuldenkrise gegen Deutschland ausschließen? Sodann wird die Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2 durch die Aussetzung der Zertifizierung blockiert und damit die Investition von 9,5 Milliarden Euro Baukosten der Eigentümerin Gazprom zunichte gemacht. Der Versorgungssicherheitsbericht der Merkel-Regierung wurde zurückgezogen, weil dieser nicht bescheinigen würde, daß die Pipeline nicht die Versorgungssicherheit gefährdet – wo doch gerade hier zusätzlich Erdgas lieferbar wäre. All dies bietet mögliche Begründungen für enteignungsgleiche Gegenmaßnahmen Rußlands gegen deutsche Firmen und Personen.

Enteignungen zerstören immer Vertrauen – und „Angst ist kein guter Ratgeber“, warnte schon Altkanzler Helmut Schmidt. Daher sollte auch bei Enttäuschung und Ohnmacht auf gesinnungsethisch motivierte Strafmaßnahmen zugunsten von verantwortungsethischem Handeln verzichtet werden.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.