© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

„Rentenmarkt ist nicht sicher“
Globale Märkte: Die Zeiten der Stabilität sind vorbei / Die USA erhöhen den Druck
Thomas Kirchner

Als Wendepunkt der 40-jährigen Zinssenkungsphase wird die Aussage des Fed-Gouverneurs James Bullard vom 21. April in die Geschichtsbücher eingehen: „Der Rentenmarkt ist nicht sicher.“ Neu, überraschend oder visionär ist der Spruch nicht. Daß im Dollar Zinserhöhungen anstehen ist weithin bekannt, und bei steigenden Zinsen sinken die Kurse festverzinslicher Anleihen. Doch so direkt ins Gesicht der Anleger hat das noch keine Zentralbank gesagt. Vor Schreck gingen die Aktienmärkte auf Talfahrt.

Im Gegensatz zu Bullard ist die französische EZB-Chefin Christine Lagarde die Ruhe in Person. Sie will die Datenlage abwarten, bevor sie am Leitzins von minus 0,5 Prozent rüttelt. Die Politikerin Lagarde war angetreten, den Zentralbankrat im Konsens zu führen. Angesichts 7,3 Prozent Inflation ist für viele die Datenlage klar. Doch statt, daß es Harmonie im Direktorium gibt, scheinen die Fetzen zu fliegen. Denn damit es zumindest nach außen nach Konsens aussieht, sollen Direktoriumsmitglieder künftig nach jeder Sitzung bis Montag warten, bevor sie mit der Presse reden.

„Madame Inflation“ hofft auf den schwachen Euro als Exportmotor

Dem Markt kann Lagarde keinen Maulkorb anlegen. Der spricht laut und deutlich. Zweijährige Bundesanleihen handeln mit 0,28 Prozent Rendite, dem höchsten Niveau seit 2013. Der Geldmarkt geht von einem Leitzins von Null bis September aus, drei Monate eher als noch eine Woche zuvor. Hatten in der Spitze im vergangenen Jahr Anleihen im Wert von 20 Billionen Dollar eine negative Rendite, sind es jetzt weniger als drei. Höhere Zinsen bedeuten Kursverluste: 8,6 Prozent hat ein Index europäischer Unternehmensanleihen guter Bonität seit August eingebüßt, der höchste je in so kurzer Zeit verzeichnete Verlust. Allein bei zu diesem Index gehörigen Anleihen verloren Anleger 224 Milliarden Euro. Ein ähnlicher Index für US-Anleihen hat gerade mit minus sechs Prozent das schlechteste Quartal seit 40 Jahren abgeschlossen. Rentenpapiere sind schon länger nicht sicher. Unsicher gemacht hat sie die Niedrigzinspolitik. Die US-Wirtschaft boomt und käme ohne Niedrigzinsen aus. Inflation ist die Quittung für verschlafene Anpassung und nicht Folge des Ukrainekriegs.

Einen Rekordabsturz gab es auch beim japanischen Yen, der im Vergleich zum Dollar in nur einem Monat von 115 auf fast 130 fiel, so tief wie seit 20 Jahren nicht. Hintergrund ist die notorisch lockere japanische Geldpolitik, die zehnjährige Anleihen auf 0,25 Prozent Rendite beschränkt. Finanzminister Shunichi Suzuki betrachtet Währungsschwankungen offiziell als „unerwünscht“. Doch insgeheim dürfte er auf eine Ankurbelung der Exportwirtschaft hoffen, wie es japanische Regierungen seit fast drei Jahrzehnten erfolglos tun.

Auch der Euro ist schwach und bewegt sich langsam wieder in Richtung Parität zum Dollar. Wie den Japanern dürfte „Madame Inflation,“ wie Lagarde von Spöttern genannt wird, der schwache Euro als Exportmotor willkommen sein. Die EZB setzt offenbar auf die gleiche Weichwährungsstrategie, mit der die „Club-Med“-Staaten (Mittelmeerländer Anm. d. R.) vor Einführung des Euros scheiterten.

Wenn Zinspolitik nach einem Jahrzehnt weltweit paralleler Lockerungspolitik plötzlich auseinanderdriftet, muß die Anpassung über die Wechselkurse stattfinden. Der große Gewinner ist der Dollar, aber auch nur, weil der Ausblick für die US-Geldpolitik lediglich weniger locker ist als der anderer Währungen. Von Geldwertstabilität ist bei 8,5 Prozent Inflation auch der Dollar weit entfernt. Doch Bullards scharfe Rhetorik verdeutlicht, daß die Amerikaner das Inflationsproblem ernst nehmen und vor negativen Auswirkungen der Zinserhöhungen auf Finanzmärkte nicht zurückschrecken. Die Frage ist nur: Wie lange? Denn die Währungsturbulenzen im Yen sind erst der Anfang.

Ein wenig bekanntes Beispiel ist die europäische Währungskrise von 1992, welche nach den Zinserhöhungen in Folge der Wiedervereinigung ausbrach. Die drastischen US-Zinserhöhungen von 1994 führten zur „Tequilakrise“, der Abwertung des Mexikanischen Peso. Renditen italienischer Staatsanleihen stiegen zeitweise auf über acht Prozent, ein Niveau, das heute eine Staatspleite verursachen würde. Die US-Zinssteigerung von 1997 führten zur Pleite Rußlands und, nach dem Rückzug japanischer Banken aus den Tigerstaaten, zur asiatischen Währungskrise. Im halbjährlichen Bericht des US-Finanzministeriums über Währungsmanipulation wird derzeit aber kein einziges Land benannt. Möglich wäre aber, daß Biden im Oktober die Euroländer und Japan aufnimmt, um den Republikanern Wind aus den Segeln zu nehmen. Konsequenzen würde das aber kurzfristig noch keine haben.

Die USA könnten ihre Zinserhöhungen aussetzen

Sicher ist nur, daß Krisen als Folge der derzeitigen Zinserhöhungen da ausbrechen werden, wo sie niemand erwartet. Eine Abwertung des chinesischen Yuan in Folge der Yen-Schwäche ist wahrscheinlich und wird erwartet – für eine Krise fehlt der Überraschungseffekt. In den USA kaufte die Fed in den letzten Jahren alle neu vergebenen Hypotheken. Fährt sie ihr Kaufprogramm zurück, ist unklar, wer dann Hypotheken finanziert. Kommt die lang erwartete Privatisierung der Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac nicht, könnte der US-Immobilienmarkt erneut zu einem globalen Problem werden.

Es könnte aber auch noch ganz anders kommen: 71 Prozent der im April von der Bank of America befragten Fondsmanager sehen eine Rezession kommen. Das sind mehr als im Oktober 2008. Lagarde scheint genau auf dieses Szenario zu spekulieren. Dann würden die USA ihre Zinserhöhungen aussetzen, der Absturz des Euros wäre vorerst gestoppt. Nur braucht Europas Exportindustrie eine boomende US-Wirtschaft. Ein weicher Euro hilft einem sanktionsgeschwächten Europa nicht, wenn der Rest der Welt eine Rezession durchlebt. Rezessionsängste reflektieren auch die Zinsen: Zehnjährige US-Staatsanleihen rentieren unter zweijährigen, ein Zeichen, daß Anleger eine rezessionsbedingte Pause der Zinserhöhungen erwarten. Die ruhigen Zeiten sind jedenfalls vorbei, in denen ständig steigende Zentralbankliquidität zusammen mit Niedrigzinsen wirtschaftliche Risiken .