© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Das Haus gehört jetzt der Bank
Immobilienmarkt: Die Preise städtischer Häuser sind bis zu 40 Prozent überschätzt
Stefan Kofner

Die Kredit- und die Immobilienwirtschaft haben erwartungsgemäß kritisch auf die Forderung der Bafin reagiert, stärkere Eigenkapitalunterlegung von Wohnimmobilienkrediten zu fordern. Die Risiken seien übertrieben, der Aufwärtstrend bei den Darlehenszinsen würde verstärkt und das Wohnungsbauziel gefährdet. War die Bafin also übervorsichtig?

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) verlangt zur Eindämmung möglicher Risiken seit dem 1. April eine höhere Eigenkapitalunterlegung von Wohnimmobilienkrediten. Der neue „sektorale Systemrisikopuffer“ zwingt die Banken, zusätzliches Eigenkapital im Umfang von zwei Prozent ihrer ausstehenden Wohnbaudarlehen zurückzulegen. Bereits zum Februar hatte die Bafin den antizyklischen Kapitalpuffer deutlich erhöht.

Die jährlichen Auszahlungen von Wohnbaudarlehen haben seit 2009 um 145 Prozent zugenommen, und der Darlehensbestand hat seitdem um 55 Prozent auf etwa 1,7 Billionen Euro zugelegt. Gleichzeitig sind die Finanzierungszinsen deutlich gesunken und die Hauspreise ebenso deutlich gestiegen.

Nach den Zahlen des Verbandes Deutscher Pfandbriefbanken (vdp) ist der durchschnittliche Kaufpreis selbstgenutzten Wohneigentums zwischen 2009 und 2021 von 219.000 auf 422.000 Euro gestiegen (plus 93 Prozent). Die verfügbaren monatlichen Nettoeinkommen der finanzierten Haushalte haben sich im selben Zeitraum nur um ein Drittel von 3.600 auf 4.800 Euro erhöht. Man braucht also heute statt fünf mehr als sieben Jahreseinkommen für den Kauf eines durchschnittlichen Eigenheims. Bei ständig sinkenden Zinsen war dies aber zunächst verkraftbar.

Banken haben Immobilien ohne Kapitalunterlegung finanziert

Allerdings bewegt sich der durchschnittliche Fremdmittelanteil am Kaufpreis ohne Erwerbsnebenkosten in den letzten Jahren auf einem sehr hohen Niveau von um die 80 Prozent. Ende der 90er Jahre waren es nur zwei Drittel. Mehr als 40 Prozent der neu vergebenen Darlehen haben einen Beleihungsauslauf zwischen 80 und 100 Prozent, und in fast 20 Prozent der Fälle finanzieren die Banken bereits die Erwerbsnebenkosten mit. Außerdem beziehen die vdp-Zahlen den Beleihungsauslauf auf den Kaufpreis und nicht auf den für die Kreditsicherheit maßgeblichen, deutlich niedrigeren Beleihungswert. Die Fremdmittelquote liegt tatsächlich nicht bei 80, sondern eher bei 100 Prozent. Die Banken haben also auf breiter Front Immobilien ohne ausreichende Eigenkapitalunterlegung finanziert.

Das war so nur wegen der Zinsentwicklung möglich. Die monatliche Kreditbelastung der finanzierten Haushalte ist seit 2009 genau wie deren Einkommen um ein Drittel angestiegen, so daß die Kreditbelastungsquote stabil bei 25 Prozent geblieben ist. Das ist historisch ein moderater Wert, aber eben nur ein Durchschnitt, der die deutlich höhere Kreditlast der Haushalte mit niedrigeren Einkommen verdeckt.

Auf der Habenseite ist weiterhin zu verbuchen, daß die durchschnittliche anfängliche Zinsbindungsdauer seit 2009 von zehn auf 14 Jahre zugenommen hat. Es kommt hinzu, daß die Anfangs­tilgung seit diesem Jahr von 1,85 auf rund drei Prozent gestiegen ist. Aber bei weitem nicht die gesamte Zinsersparnis in Höhe von 3,5 Prozent seit 2009, sondern nur 1,2 Prozent davon wurden für zusätzliche Tilgung verwendet.

Mit der Zinswende sind die Zinsänderungsrisiken nun konkreter geworden. Die durchschnittliche Finanzierung von 2021 kann jedoch selbst bei einem Anschlußzins von 4,5 Prozent ohne weiteres durchgehalten werden. Das Problem: Steigende Zinsen ziehen stets fallende Immobilienpreise nach sich. Ein Anstieg der Hypothekenzinsen auf fünf Prozent würde für sich genommen zu einem Absturz der Hauspreise um etwa 40 Prozent führen.

Davon unabhängig bestehen weitere Preisrisiken aus platzenden Immobilienblasen. Gemäß der Deutschen Bundesbank lagen die städtischen Immobilienpreise 2021 zwischen 15 und 40 Prozent über den fundamental angemessenen Werten. Auch der EU-Risikorat ESRB erkannte eine „hohe und wachsende Überbewertung“. Bei platzenden Preisblasen werden die Banken angesichts der geringen Eigenkapitalquoten von vielen Kreditnehmern Nachbesicherungen wegen Verschlechterung des Wertes der Kreditsicherheiten fordern. Die Hypothekenschuldner sollten sich darauf einstellen. Entlastend könnte sich ein längeres Anhalten der derzeitigen enteignenden Inflation auswirken, die kaum in den Zinsen reflektiert wird. Das würde die Entwicklung der nominalen Hauspreise abstützen, die Löhne und Gehälter mit nach oben ziehen und auch die Zinsänderungsrisiken entschärfen. Aber das ist Spekulation.

Hat die Bafin nun recht getan, indem sie die Kreditzügel angezogen hat? Angesichts der Kombination von wuchernden Preisblasen und immer mehr auf Kante genähten Finanzierungen war Nichtstun wohl keine Alternative.

„Aktuelle Risikoanalyse für die Wohnimmobilienfinanzierung in Deutschland“ (IW-Trends 1/22):  www.iwkoeln.de

Foto: Euro und Immobilie aus Sand: Steigende Zinsen ziehen stets fallende Immobilienpreise nach sich