© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Strand oder Berge? Meeresbrise oder Höhenluft? Möwengeschrei oder Kuhglockenbimmeln? An solchen Fragen scheiden sich in Familien oft die Geister. Bei einer Umfrage im Sommer vor zwei Jahren gab knapp die Hälfte (49 Prozent) der befragten Personen aus Deutschland an, daß sie im Urlaub lieber ans Meer als in die Berge fahren. Dazu gehört sicher auch Bettina Baltschev, Redakteurin beim Mitteldeutschen Rundfunk, Literaturkritikerin, Moderatorin – und passionierte Strandläuferin. Besonders liebt sie die Strände im Herbst, Winter und Frühjahr, wie sie in ihrem Buch „Am Rande der Glückseligkeit“ (Berenberg) schreibt, „wenn man nicht liegen kann, sondern laufen muß, mit dem Wind, gegen den Wind (…) Sofort stellt sich ein ganz anderer Gemütszustand ein als am Sommerstrand, weil sich das eigentliche, das natürliche Grenzgebiet viel schärfer abzeichnet, weil nicht Selbstvergessenheit das Gebot der Stunde ist, sondern Selbstbefragung und Selbstvergewisserung. Dabei kann sich das Meer, wenn man es nur läßt, als überaus kluger Gesprächspartner erweisen.“ Baltschev reiste zu acht Stränden in acht Ländern, beschreibt ihre Wahrnehmungen und Empfindungen, erzählt von Schicksalen, unternimmt Exkursionen in die Geschichte des Ortes ebenso wie in die Welt der Literatur. Dabei gelingen ihr immer wieder eindrucksvolle bildhafte Schilderungen. Im Winter auf Hiddensee hält sie fest: „Der Sand, naßschwer und betongrau, bildet eine frostfeste Fläche. Dunkelgrüner Tang liegt in langen Wellenlinien da, angespült im Rhythmus des Meeres. Aus Holzpfählen errichtete Buhnen ragen weit in die See. Die salzig nasse Luft öffnet die Lungen, der kalte Seewind rötet die Wangen und bläst Schneisen ins dichte Gedankengestrüpp.“ Unterwegs ist die Autorin zudem im niederländischen Seebad Scheveningen, in Brighton und Ostende, am Utah Beach in der Normandie, wo im Juni 1944 die Alliierten landeten, auf Ischia im Golf von Neapel und in Benidom an der Costa Blanca sowie auf der griechischen Insel Lesbos.

Bundesminister Cem Özdemir erklärt den Zweck von gelben Warnwesten für Hühner.

Lesefundstück aus „Kulturgeschichte der Neuzeit“ (C.H. Beck, 3 Bände, 1927–1931) des Kulturphilosopen, Schriftstellers, Schauspielers und Kabarettisten Egon Friedell: „Der Mut, über Zusammenhänge zu reden, die man nicht vollständig kennt, über Tatsachen zu berichten, die man nicht genau beobachtet hat, Vorgänge zu schildern, über die man nichts ganz Zuverlässiges wissen kann, kurz: Dinge zu sagen, von denen sich höchstens beweisen läßt, daß sie falsch sind, dieser Mut ist die Voraussetzung aller Produktivität, vor allem jeder philosophischen und künstlerischen oder auch nur mit Kunst und Philosophie entfernt verwandten.“


Verrücktheit des Monats: Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, erklärt auf Social-Media-Kanälen in einem Kurzvideo den Zweck von gelben Warnwesten für Hühner als Schutz vor Habichten! Nach Angaben eines Ministeriumssprechers gegenüber dieser Zeitung habe es sich dabei um eine humorvolle Aktion des Grünen-Kreisverbandes Stuttgart mit dem Wahlkreisabgeordneten anläßlich des Welt-Marihuana-Tages gehandelt. Na dann, alles klar!?