© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Zur Argumentationsfolklore der Putin-Versteher gehört regelmäßig der Hinweis auf das Asow-Regiment samt seiner neo-, krypto-, parafaschistischen Symbolik. Dagegen gibt es alle möglichen Hinweise auf die Mäßigung der Einheit, das Ausscheiden der Extremisten und so weiter. Die Prüfung der Faktenlage bleibt so oder so schwierig. Fest steht aber, daß die Einheit in der belagerten Hafenstadt Mariupol heldenhaften Widerstand gegen die russischen Angreifer leistet, offenbar entschlossen, das „letzte Karree“ zu bilden, und dabei die natürliche Affinität zwischen rechter Weltanschauung und Kampfbereitschaft der ausschlaggebende Faktor sein dürfte. Denn selbstverständlich war es kein Zufall, daß die „Weißen“, die während des russischen Bürgerkriegs den Kampf gegen die „Roten“ aufnahmen, in erster Linie Zarentreue, Reaktionäre und Gegenrevolutionäre rekrutierten, daß die französische Résistance während des Zweiten Weltkriegs von Royalisten und Republikverächtern ins Leben gerufen wurde, während den polnischen Untergrund in erster Linie Patrioten der strengen Observanz getragen haben und zuletzt auf dem Majdan in Kiew der „Rechte Sektor“ den entschlossensten Widerstand geleistet hat.

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„Ein rechter Charakter ist mir erheblich lieber als ein linkes Schwein.“ (Kurt Hiller, jüdischer Emigranten-Schrifteller, in bezug auf Ernst Jünger)

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Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang April in einer Ansprache vor Journalisten: „Ich bin überzeugt, daß unsere Sicherheit das Problem Nummer eins in den kommenden zehn Jahren sein wird.“ – „Ich denke, daß unser ganzes Volk unsere große Armee sein wird. Wir können nicht von einer Schweiz der Zukunft sprechen, wahrscheinlich kann unser Staat das erst sehr viel später sein.“ –„Aber wir werden definitiv ein großes Israel mit eigenem Gesicht.“ – „Wir werden uns nicht wundern, wenn Vertreter der Streitkräfte oder der Nationalgarde und in allen Institutionen, Supermärkten, Kinos bewaffnete Leute auftreten werden.“ 

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„Flexibel, bunt und zugänglich“ (Werbung für die EKD-Broschüre „Glauben, Leben, Zukunft. Wie die Generation Y Kirche 2030 denkt“)

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Auch im Hinblick auf die Osterunruhen in Schweden nichts Neues, was die Art der Präsentation betrifft: Wer sich auf die Kurzversion der Nachrichten beschränkte, mußte den Eindruck gewinnen, daß irgendwelche Rechtsextremisten die Polizei mit Molotowcocktails und Geschossen angegriffen und ganze Straßenzüge verwüstet hatten. Wenn man sich mit den Artikeln der Qualitätspresse oder der Berichterstattung im Fernsehen befaßte, wurde das Bild nur unwesentlich ergänzt. Aber wenigstens war das Faktum unleugbar, daß es – in der Regel junge, in der Regel männliche, in der Regel muslimische – Menschen mit Migrationshintergrund waren, die die Ausschreitungen zu verantworten hatten. Blieb zuletzt nur die Kommentierung, um das richtige Verständnis der Vorgänge abzusichern. Den „Rahmen“ bildete da der Hinweis auf fehlende kulturelle Sensibilität, wenn jemand Exemplare des Korans verbrennen will. Dann folgte der Vorwurf der Ignoranz, falls man meinte, daß hier kein sozialer Konflikt (fehlende Arbeit, fehlender Konsum, häßliche Wohnungen, Diskriminierung allüberall) ausgetragen werde, sondern ein religiöser und ethnischer. Und unvermeidbar kam zum Schluß die Warnung, daß die eigentliche Gefahr für die Zivilgesellschaft von der Menge der Wutbürger ausgehe, die bei den nächsten Reichstagwahlen ihr Kreuz an der falschen Stelle, also bei den Schwedendemokraten, machen wird.

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„Die russische Gefahr hätte ich [im Untergang des Abendlandes] noch stärker herausgearbeitet, denn schließlich ist das Gebiet zwischen Weichsel und Amur dasjenige, auf dem die Weltgeschichte der nächsten Generation vermutlich gemacht wird.“ (Oswald Spengler in einem Brief vom 4. Mai 1936, wenige Tage vor seinem Tod)

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David Geary (Universität Missouri) und Gijsbert Stoet (Universität von Essex) haben die umfassendste Studie zur beruflichen Präferenz Jugendlicher vorgelegt. Erhoben wurden die Daten von 500.000 Personen in etwa 80 Ländern weltweit. Dabei zeigte sich – wieder einmal muß man sagen – das erstaunliche Maß an Übereinstimmung zwischen Berufswunsch und dem, was heute als Ergebnis von „Rollenfixierung“ oder „Geschlechterstereotypie“ betrachtet werden soll: vier von fünf der befragten Jungen erklärten, daß sie sich eine Tätigkeit wünschten, bei der sie mit Dingen, Maschinen etwa, zu tun haben würden, drei von vier der befragten Mädchen äußerten dagegen, daß sie einen Beruf ergreifen wollten, in dem es primär um den Kontakt mit Menschen gehe, als Krankenschwester oder Lehrerin vor allem. Bemerkenswert ist auch, daß in Ländern, die besonders stark auf das Egalitätsprinzip und eine geschlechtsneutrale Erziehung setzen – wie die skandinavischen Staaten – dieser Unterschied besonders ausgeprägt ist. Für den schwedischen Fall hat man eine Relation von sieben zu eins zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmern in bezug auf die an Dingen ausgerichtete Profession festgestellt.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 13. Mai in der JF-Ausgabe 20/22.