© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Parallelen zu George Floyd liegen auf der Hand
Die gewalttätige Verhaftung des Afroamerikaners Rodney King durch die Polizei Los Angeles führte 1992 zu schweren Rassenunruhen
Michael Dienstbier

Alles begann mit einem Video. Es zeigt, wie vier Polizisten mit Schlagstöcken minutenlang auf einen am Boden liegenden Mann einprügeln. Kurz zuvor hatte sich der 25jährige Bauarbeiter Rodney King im Großraum Los Angeles eine spektakuläre Verfolgungsjagd mit der Polizei geliefert. King geriet alkoholisiert in eine Geschwindigkeitskontrolle und ergriff die Flucht, da er befürchtete, gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen zu haben. Schließlich widersetzte er sich seiner Festnahme, was zu den Videoaufnahmen eines zufällig anwesenden Zeugen führte. Jener 3. März 1991 veränderte nicht nur das Leben Rodney Kings, sondern markierte den Beginn eines Prozesses, der zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führte, und der bis heute nachwirkt.

Rodney King war schwarz, drei der vier Polizisten weiß. So hatte das anstehende Gerichtsverfahren, das aufgrund des medial sehr präsenten Videos weltweit verfolgt wurde, von Beginn an eine ethnische Dimension. Das Urteil am 29. April 1992 kam für viele einem Schock gleich: Alle vier Polizisten wurden freigesprochen. Daß das Verfahren wohl mit Absicht in einen Bezirk verlegt wurde, in dem die Jury gemäß der dortigen Zusammensetzung der Bevölkerung aus elf Weißen und einem Latino bestand, empfanden die Unterstützer Kings als zusätzliche Provokation. 

Nur Minuten nach der Urteilsverkündung begannen in Los Angeles die Ausschreitungen, die in den USA bis heute als race riots – Rassenunruhen – bezeichnet werden. Bis zum 3. Mai starben 60 Menschen, und es wurden 1.000 Gebäude vor allem durch Brandstiftung zerstört. Systematische Plünderungen gehörten zur Tagesordnung, es entstand ein Sachschaden von über einer Milliarde US-Dollar. Erst der Einsatz der Nationalgarde und regulärer Einheiten der US Army beendeten schließlich die Gewaltexzesse. Insgesamt waren mehr als 20.000 Sicherheitskräfte im Einsatz, die gut 7.000 Verhaftungen vornahmen.

King-Urteil war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte

Im Verlauf dieser fünf Tage kam es zu gezielten Hetzjagden auf weiße Menschen. Stellvertretend für viele steht das Schicksal von Reginald Denny. Der Truckfahrer wurde von vier jungen Schwarzen aus seinem Fahrzeug gezerrt und zusammengeschlagen. Schließlich warf einer der Täter einen massiven Backstein auf den Kopf des am Boden liegenden Denny. Er überlebte, weil der Angriff zufällig von einem Helikopter aus live im Fernsehen übertragen wurde und einige Bewohner dem Angegriffenen so zu Hilfe eilen konnten. Bis heute leidet Denny an den Folgen seiner schweren Kopfverletzungen.

Schwerpunkt der Rassenunruhen war der Stadtteil South Central, der mehrheitlich von Schwarzen bewohnt wurde und bis heute ein Armuts- und Kriminalitätsschwerpunkt von Los Angeles ist. Seit Jahren schwelten gerade hier ethnische Konflikte, so daß das King-Urteil nur der sprichwörtliche Tropfen war, der das Faß zum Überlaufen brachte. Dabei waren es vor allem Asiaten, die den Haß vieler Schwarzer auf sich zogen. Viele kleinere Ladengeschäfte wurden erfolgreich von Koreanern geführt, die somit bewiesen, daß sich mit Disziplin, harter Arbeit und ohne ständige Beschwerden ob tatsächlicher oder eingebildeter Diskriminierung auch für Angehörige ethnischer Minderheiten der Amerikanische Traum durchaus realisieren ließ. So erklärt sich, warum es gerade der Bezirk mit dem offiziellen Namen Koreatown war, der vom Mob am systematischsten verwüstet wurde. Viele der Brandruinen prägen bis heute das Stadtbild, da es wenig Interesse an einem Wiederaufbau gab und gibt. Als einzige direkte Konsequenzen wurde 2003 South Central in South Los Angeles umbenannt, um den Stadtteil so von seinem Stigma zu befreien.

Die Parallelen zum Fall George Floyd liegen auf der Hand. King und Floyd waren beide mehrfache Straftäter mit Drogen- und Alkoholproblemen, beide wurden Opfer unverhältnismäßiger Polizeigewalt, beide wurden zu Ikonen im Kampf gegen einen angeblich strukturell rassistischen Staats- und Sicherheitsapparat, da Bildaufnahmen der jeweiligen Übergriffe vorhanden sind. Am Tag nach dem Tod Floyds am 25. Mai 2020 in Minneapolis – ein weißer Polizist hatte sich auf seinen Hals gekniet, da sich Floyd zuvor seiner Festnahme widersetzte – begannen dort die Rassenunruhen, die sich, anders als 28 Jahre zuvor, dieses Mal über das gesamte Land ausbreiteten. 

Ein Schwerpunkt der Krawalle war vor zwei Jahren wieder Los Angeles, wo 3.000 Menschen infolge von Plünderungen und Brandstiftungen inhaftiert wurden. Insgesamt starben zwanzig Menschen, und es entstand ein Sachschaden von 400 Millionen Dollar. Völlig anders gestaltete sich nun aber die mediale Berichterstattung über die Ausschreitungen. Während 1992 die Gewaltexzesse noch als solche bezeichnet wurden, wurden die Randalierer gerade in Europa weitgehend einmütig als verlängerter Arm der Bürgerrechtsbewegung angesehen, deren Vorgehen gerechtfertigt sei. Der symbolische Kniefall der „Black Lives Matter“-Bewegung machte selbst vor der deutschen Fußballnationalmannschaft nicht halt, die sich vor dem EM-Achtelfinale im Juni 2021 ihren englischen Kollegen beim publikumswirksamen Ausführen dieser Unterwerfungsgeste anschloß. 

Rodney King selbst blieb es verwehrt, diese Neuauflage der Rassenunruhen zu kommentieren. 1994 sprach ihm ein Gericht eine Entschädigung von 3,8 Millionen Dollar zu, die ihm von da an eine entsprechende Lebensführung erlaubte. Auch danach geriet er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt, vor allem wegen häuslicher Gewalt und Drogendelikten. 2012 ertrank King in seinem Swimmingpool. Die Obduktion ergab, daß er zum Zeitpunkt des Unfalls mit Alkohol und Drogen vollgepumpt war.