© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Die multikulturelle Ukraine als neues Forschungsfeld
Postsowjetische Vielfalt
(dg)

Andrii Portnov ist, wie seine Lehrstuhlbezeichnung verrät, Professor für „Entangled History of Ukraine“ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Er trat dort 2017 an, um westliche „Vorurteile, Irrtümer und Stereotypen“ über sein Heimatland zu widerlegen. Zu den beliebtesten „axiomatischen Klischees“ zählt er dabei das vom „radikalen ukrainischen Nationalismus“ und dem davon untrennbaren „Antisemitismus“. Es werde vom russischen Angriffskrieg derzeit dadurch eindrucksvoll widerlegt, daß sich die ukrainische Gesellschaft um ihren Präsidenten Selenskyj schare, der aus einer jüdischen Familie stamme. Darin offenbare sich eine Wirklichkeit jenseits des Nationalismus. Denn das „Grenzland“ Ukraine, so die Übersetzung ihres Namens, sei eins mit „fließenden Grenzen und der Durchlässigkeit der Kulturen“. Insoweit habe es eine „entangled“, eine vielfach verstrickte „multiethnische Geschichte“, was sie zu einem sehr modernen Forschungsfeld machen könnte, „um die konzeptionelle Hegemonie des Nationalstaates in Frage zu stellen“ (Forschung & Lehre, 4/2011). Mit einem stärker geförderten Studienfach Ukrainistik böte sich eine Chance, dieses Land in seiner postsowjetischen Vielfalt und seinen Pluralismus endlich als Teil der europäischen Kulturgeschichte wahrzunehmen. 


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