© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Das Grauen aus Sicht der Jugend
Christian Hardinghaus läßt letzte Zeugen des Zweiten Weltkriegs zu Wort kommen
Werner Olles

Nach seinen erfolgreichen Büchern „Die verdammte Generation“ und „Die verratene Generation“, in denen er aufschlußreiche und oft erschütternde Gespräche mit den letzten Wehrmachtssoldaten und den letzten Zeitzeuginnen des Zweiten Weltkriegs führte, legt der Historiker Christian Hardinghaus mit „Die verlorene Generation“ nun den dritten Band vor. 

In diesem Buch spricht der Autor mit jenen, die das Grauen des Krieges als Kind erlebt haben und Auskunft geben über ihre Erfahrungen mit alliierten Luftangriffen, zerbombten Städten, Flucht und Vertreibung, ihre Mitgliedschaft in der HJ, die Kämpfe an der Ostfront und in den Ardennen als Angehörige der Waffen-SS-Division „Hitlerjugend“. Die sechzehn und siebzehn Jahre alten Jungen erlebten das Töten und Sterben an der Front im Panzervernichtungstrupp, als Flakhelfer, beim Volkssturm oder in den letzten Kriegstagen als Partisanengruppen des „Werwolf“. 

13 der letzten lebenden erzählen hier ihre dramatische Geschichte. Geboren sind sie zwischen 1926 und 1931 und sind heute zwischen 92 und 96 Jahre alt. Alle waren aktiv an Kampf- oder Kriegshandlungen beteiligt, ob in HJ-Kampfgruppen oder als Luftwaffenhelfer. Freimütig berichten sie über Erlebnisse in alliierter Kriegsgefangenschaft, jeder von ihnen verlor an der Ostfront, in den Ardennen oder bei den blutigen Kämpfen um die Reichskanzlei Kameraden oder wurde selbst schwer verwundet. 

Hardinghaus ist durch seine einfühlsame Gesprächsführung ein berührendes Zeitdokument gelungen über eine Generation, die sich am Ende des Krieges völlig verloren fühlte und lange brauchte, um wieder ein normales Leben zu führen. Für den Leser ist das bewegend und vermittelt ihm das Gefühl, daß „wir jetzt und heute im Begriff sind, eine besonders tapfere Generation für immer an den Tod zu verlieren!“ Es ist faszinierend, daß sie ein letztes Mal bereit waren, ihre Erinnerungen an eine Zeit mitzuteilen, die für viele bis heute prägend ist. Dafür, daß all die Entbehrungen und Schrecknisse, die sie durchgemacht haben, nicht für immer verlorengehen und vergessen werden, sind wir dieser „Verlorenen Generation“, die ihre Kameraden und Familien nicht im Stich ließen, und ihrem Chronisten zu tiefer Dankbarkeit verpflichtet. Im Gegensatz zu der in Teilen wohlstandsverwahrlosten heutigen Jugend haben sie die Prüfung bestanden, und dies ohne zu klagen und ihr Leid über das der anderen zu stellen. Ihre ungeschönten Berichte der erbarmungslosen Kämpfe und der zermürbenden Kriegsgefangenschaft zählen zu wichtigen Zeitdokumenten.

Christian Hardinghaus: Die verlorene Generation. Gespräche mit den letzten Kindersoldaten des Zweiten Weltkriegs. Europa Verlag, München 2021, gebunden, 343 Seiten, 20 Euro