© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Frisch gepreßt

Karl Dietrich Erdmann. Historiker, die in der Bonner Republik über Fachgrenzen hinaus öffentlich wahrgenommen wurden, gibt es nicht allzu viele. Fritz Fischer gehört sicher dazu, der in den 1960ern mit seiner These vom Kaiserreich als Hauptschuldigem am Ersten Weltkrieg ein spektakuläres Echo erzielte, auch sein Widerpart Gerhard Ritter, vielleicht noch linke, über Pressemacht verfügende Volkspädagogen wie Hans-Ulrich Wehler. Aber niemand hatte in der westdeutschen Geschichtswissenschaft einen so großen institutionellen Einfluß wie der heute weitgehend vergessene Kieler Historiker Karl Dietrich Erdmann (1910–1990). Auf dem Fundament eines umfangreichen Nachlasses ruft die sehr lesbare und lesenswerte Dissertation Arvid von Bassis dieses nicht im Elfenbeinturm verbrachte Gelehrtenleben eines „Homo politicus“ wieder ins Gedächtnis. Dabei wird nochmals, aber wesentlich differenzierter als durch frühere „Skandalisierungen“, Erdmanns Werdegang vor 1945 untersucht. Aber im Zentrum steht seine sagenhafte Nachkriegskarriere, die ihn bis in die höchsten Gremien der bundesdeutschen Wissenschafts- und Bildungspolitik und schließlich sogar, als erster deutscher Präsident, an die Spitze des internationalen Historikerverbandes führen sollte. Mit diesem vielseitigen Engagement sei Erdmann in seinem weiten Wirkungskreis zum Exponenten der „liberal-konservativen Erneuerung der alten Bundesrepublik“ geworden. (ob)

Arvid von Bassi: Karl Dietrich Erdmann. Historiker, Wissenschaftsorganisator, Politiker. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2022, gebunden, 464 Seiten, 69,95 Euro





Soldaten und AfD. Wenn es kritisch wird, besinnen sich plötzlich auch die etablierten Parteien darauf, daß eine intakte und schlagkräftige Armee ihre gewissen Vorzüge hat. Lange bevor Bundeskanzler Olaf Scholz eine „Zeitenwende“ für die Bundeswehr ankündigte, die unserer Armee die lange versagte Anerkennung und Ausrüstung in Aussicht stellte, mußte man innerhalb der AfD in dieser Haltung niemand zum Jagen tragen. Das dokumentiert nicht zuletzt die von Gerold Otten und seinem Abgeordnetenkollegen und ehemaligen Generalleutnant Joachim Wundrak herausgegebene Broschüre mit neun ebenso kompetenten wie meinungsfreudigen Beiträgen. Darin wird begründet, warum viele einen adäquaten politischen Rückhalt vermissende Soldaten zunehmend Sympathie für die blaue Partei aufbringen. Tatsächlich besetzt keine andere Fraktion ihre Positionen im Verteidigungsausschuß mit ähnlich erfahrenen Soldaten wie die AfD, die dort unter anderem mit Otten und seinem Parteifreund Joachim Lucassen zwei langgediente Stabsoffiziere aufbieten kann. (bä)

Gerold Otten, Joachim Wundrak (Hrsg.): Warum Soldaten die AfD wählen. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2021, broschiert, 117 Seiten, 14,80 Euro