© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Impfskeptiker dürsten schon
Großbritannien läßt einen ersten Totimpfstoff für den Markt zu
Jörg Schierholz

Die Kritik an den neuartigen Impftechnologien reißt nicht ab. Gesundheitsminister und einige Virologen hoffen deshalb darauf, mit Totimpfstoffen eine höhere Impfquote erzielen zu können. In Großbritannien hat die zuständige Zulassungsbehörde (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency; MHRA) den Covid-19-Impfstoff VLA2001 als sechsten Impfstoff gegen Corona bedingt für Menschen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren zugelassen. „Unsere heutige Zulassung des von Valneva hergestellten Covid-19-Impfstoffs erfolgt nach einer strengen Prüfung der Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit dieses Impfstoffs und nach fachlicher Beratung durch das unabhängige wissenschaftliche Beratungsgremium der Regierung, die Commission on Human Medicines“, erklärt June Raine, Geschäftsführerin der MHRA. 

Der leitende Mediziner bei Valneva, Juan Carlos Jaramillo, äußerte sich optimistisch: „Wir sind äußerst zufrieden mit diesen Ergebnissen, die das Potential für einen Breitbandschutz unseres inaktivierten, adjuvantierten Ganzvirus-Impfstoffs und seine Fähigkeit bestätigen, derzeit zirkulierende besorgniserregende Varianten zu bekämpfen.“

Falls die Europäische Arzneimittelbehörde EMA die Zulassung noch im April erteilt, könnte die Auslieferung des Impfstoffes schon im Mai erfolgen. Wegen seiner Wirksamkeit gegen Omikron könnte Valneva auch als Auffrischungsimpfung für jene interessant werden, die zuvor einen Vektor- oder einen mRNA-Impfstoff injiziert bekommen haben – oder die genesen sind; dies wird aber im Moment noch intensiv erforscht. In einer Omikron-Studie des österreichisch-französischen Biotechnologieunternehmens führten drei Impfdosen von Valneva zu einer Neutralisierung der Omikron-Variante. „Diese Ergebnisse ergänzen frühere Erkenntnisse aus unserer Phase-3-Studie Cov-Compare, in der gezeigt wurde, daß zwei Dosen von VLA2001, die als Grundimmunisierung verabreicht wurden, überlegene neutralisierende Antikörperspiegel und eine breite T-Zell-Antwort induzieren“, sagt Jaramillo.

Valneva-Impfstoff enthält kurze DNA-Stücke als Adjuvans

Bei dem Totimpfstoff von Valneva (JF 44/21) handelt es sich „um eine klassische, seit 60 bis 70 Jahren eingesetzte Impfstofftechnologie mit bewährten Verfahren und sehr hoher Sicherheit“, ergänzt die EU-Kommission, welche einen Vertrag zur Lieferung von mehr als 27 Millionen Dosen des Valneva-Präparats unterzeichnete. Da diese Technologie auch bei den meisten Grippeimpfstoffen, Tollwut oder FSME verwendet wird, ist der Impfstoff bei denjenigen, die gegen die mRNA-Technologie Bedenken hegen, eher akzeptiert. Allerdings sind Totimpfstoffe häufig weniger immunogen, weshalb sie in der Regel mit Immunverstärkern (Adjuvantien) versehen werden, die teils die Verträglichkeit vermindern können.

Bei Valneva wird das Sars-CoV-2-Virus in Vero-Zellen – eine von Nieren-Zellen der Primatengattung der Grünen Meerkatze abgeleiteten Zellinie – vermehrt und danach inaktiviert. Dieses Verfahren wird schon seit fünf Jahren für Valnevas zugelassenen Impfstoff gegen die japanische Enzephalitis, welche durch eine Art des Gelbfieber-Virus ausgelöst wird, verwendet. Ein Ganzvirusimpfstoff löst im Vergleich zu den auf die oberflächlichen Spike-Proteine abgerichteten mRNA- oder Vektor-Impfstoffen eine breitere Immunantwort aus, gerade auch gegen andere Viruskomponenten. Hierbei wird die Bildung von virusneutralisierenden Antikörpern, und auch die Aktivierung von T-Lymphozyten induziert, welche eine T-Zell-Immunantwort auslösen. Theoretisch ist es plausibel, daß so ein besserer Schutz vor der Erkrankung vermittelt werden kann. Ob das aber auch bei Sars-CoV-2 der Fall ist, müssen weitere klinische Studiendaten und Post-Marketing-Untersuchungen zeigen. So hat der Impfstoff jedenfalls das Potential, auch gegen zukünftige Corona-Varianten besseren Schutz zu bieten. Kontrovers diskutiert werden beim Valneva-Impfstoff die enthaltenen Wirkverstärker Aluminiumhydroxid und das DNA-Oligonukletid CpG 1018 (siehe Infokasten). Aluminiumhydroxid ist seit 1926 bekannter Bestandteil vieler Impfstoffe. CpG 1018 hingegen bindet an einen Immunzellen-stimulierenden Rezeptor (TLR9) und ist in einem zugelassenen Impfstoff gegen Hepatitis B enthalten.

Die zulassungsrelevante Phase-3-Studie Cov-Compare zeigte zwei Wochen nach der zweiten Impfdosis bei Valneva-Geimpften im Vergleich zur Vakzine von AstraZeneca signifikant mehr neutralisierende Antikörper gegen Sars-CoV-2. Beim Valneva-Impfstoff gab es weniger Reaktionen an der Einstichstelle und weniger systemische Reaktionen wie zum Beispiel Müdigkeit. Sehr seltene Nebenwirkungen konnten aber aufgrund der geringeren Zahl an Teilnehmern mit dieser Studie noch nicht ausgeschlossen werden. 

Insgesamt befinden sich fast fünfzig neue Impfstoffe in der für die Zulassung entscheidenden Studienphase drei. Auch der Protein-Impfstoff von GlaxoSmithKline (GSK) und Sanofi steht in Europa kurz vor der Freigabe. Die Franzosen haben sich hierfür mit dem britischen Konzern GSK zusammengetan, der den aus der Schweinegrippe-Impfung Pandemrix bekannten Wirkverstärker AS03 zum Sanofi-Antigen beisteuert. Die seltenen Narkolepsiefälle nach der Schweinegrippeimpfung konnten AS03 bisher trotz mehrerer Forschungsarbeiten nicht zugeordnet werden. Wer skeptisch gegenüber den Impfungen sein will, wird auch hier einen Grund finden können.





Neuartige Adjuvantien für Impfstoffe

CpG-Oligonukleotide wie die im Valneva-Adjuvans CpG 1018 sind kurze, einsträngige DNA-Stücke, die einen hohen Anteil an sogenannten CpG-Motiven enthalten. Diese Abfolge von Cytosin (C) und Guanin (G) ist auch in der menschlichen DNA vorhanden, allerdings dann in geringerer Häufigkeit, anderer Verteilung und meist auch epigenetisch verändert. Dabei wird das Cytosin methyliert, was dazu führt, daß der DNA-Abschnitt oft nicht mehr aktiv ist. Beim Adjuvans CpG 1018 findet diese Methylierung nicht statt, so daß das Immunsystem des Geimpften glaubt, die CpG-Bestandteile stammen aus einem fremden Erbgut. Fremdes Erbgut deutet wiederum in aller Regel auf eingedrungene Bakterien oder Viren hin, weshalb das Immunsystem scharf gestellt wird. Diesen Effekt macht sich der französische Pharmakonzern zunutze. Die Hersteller von Impfstoffen sind gezwungen, immer wieder neue Adjuvantien auf den Markt zu bringen, da das Adjuvans der Teil des Impfstoffs ist, der neuartig und selbstentwickelt ist. Nur in Verbindung mit dem Adjuvans kann ein Patent erteilt werden. Das Antigen selbst kann nicht rechtlich geschützt werden. (mp)