© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Auf der Scholle wieder richtig austoben
Mikro-Landwirtschaft in Wohnzimmer, Garten und Büro oder auf dem Balkon
Bernd Rademacher

Wer das Glück hat, einen eigenen Garten zu besitzen, kann sich jetzt auf seiner kleinen Scholle wieder richtig austoben. Also den Spaten aus der Garage geholt und ab in die Gummistiefel! 2022 gibt es einige neue Trends für Urlaub und Mikro-Landwirtschaft in „Bad Meingarten“ …





Büro im Grünen

Das Heim-Büro zieht nach draußen! Garten oder Terrasse machen das Home-Office zur inspirierenden Idylle mit Blick ins Grüne. Eine Markise oder ein Segel als Sonnenschutz installieren, Strom verlegen und schon kann das Zoom-Meeting im Freien stattfinden. Wer seinen Arbeitsplatz dauerhaft in den Garten auslagern möchte, findet bei den britischen Anbietern „U-Build“ und „Koto-Design“ speziell geplante Gartenhaus-Büros als Bausatz. Die Konstruktionen sind modular erweiterbar, aber auch nicht ganz günstig. Notfalls zieht man eben mit dem Verlängerungskabel am Rechner unter den Sonnenschirm. Aber bitte bei der Telefonkonferenz die Nachbarn nicht mit lautem Dauerquasseln nerven!





Wohnen im Garten

Wenn man schon draußen arbeitet, warum nicht gleich auch das Wohnzimmer in den Garten verlegen? Opulente Lounge-Möbel statt Klappstuhl ist die Devise. Draußen-Teppiche aus UV-resistentem Material sorgen für Gemütlichkeit, ein Sichtschutz aus Rankgittern oder Weiden-Flechtzaun ist in jedem Baumarkt erhältlich. Wer noch mehr Atmosphäre schätzt, richtet sein Wohnzimmer unter einem Pavillonzelt ein oder konstruiert eine robuste Pergola. Bausätze und Anleitungen bietet der nächste Fachmarkt. Kissen, Regale und Buffetschränke runden das Wohnzimmerflair ab. Besonders gefragt sind „Upcycling“-Möbel aus alten Paletten.





Die Durstlosen

Da sich in den letzten Jahren die Niederschlagsperioden verschoben haben, empfiehlt es sich, Pflanzen zu setzen, die längere Trockenheit tolerieren. Daher werden mediterrane Gewächse für Balkon und Garten immer beliebter, zum Beispiel Lavendel. Der sieht nicht nur schön aus, sondern lockt auch Bienen und Hummeln an. Eine gute Alternative zu Buchsbaum ist Heiligenkraut. Die gelben Korbblütler lassen sich auch als Salat verspeisen oder zu einem anregenden Tee aufgießen. Thymian ist ein idealer Bodendecker, ebenso wie Veronica, die an Heidekraut erinnert. Das lustige und anspruchslose Hasenschwanzgras setzt einen dekorativen Akzent ins Beet.





Blüten statt Bienen

Viele urbane Hobbyimker glauben, Bienen vor dem Aussterben retten zu müssen. Doch es gibt nicht zu wenige Honigbienen, sondern zu wenige Wildbienen. Zudem konkurrieren mehr Bienenvölker in der Stadt um das magere Futter. Darum ist mit Blüten besser geholfen. Bienen-Magneten sind u.a. Buschwindröschen und Narzissen, Efeu und Johannisbeeren, Christrosen und Sonnenblumen, Kornblumen und Wiesenschaumkraut. Daneben sind auch Insektenhotels eine gute Sache. Wichtig: Dabei nur unbehandeltes Holz verwenden und immer in die Längsmaserung bohren! Vorteil: Auch auf dem kleinsten Balkon ist Platz für eine Insektenweide.





Selbstversorgung

Erst Lebensmittelskandale, dann Bio-/Regional-Trend, jetzt Krieg: Privater Obst- und Gemüseanbau boomt. Von der Kräuterspirale bis zum Kartoffelacker entlastet die Garten-Landwirtschaft das Haushaltskonto. Eigene Tomaten oder selbstgezogene Möhren machen etwas unabhängiger vom Supermarkt. 

Frischer geht’s außerdem nicht. Ein Hochbeet mit Pflücksalat ist selbst auf dem Balkon im Mehrfamilienhaus möglich. Radieschen, Gurken und Buschbohnen eignen sich für Kübel, Hängeampeln, Pflanzregale oder Erdsäcke und bringen auch Anfängern motivierende Erfolge. Die Ernte läßt sich auch einfrieren oder einkochen.





Alte Sorten

Turbo-Äpfel und Wasser-Erdbeeren schmecken nicht nur blaß, sondern lösen bei vielen Menschen Allergien aus. Mit Saatgut alter Sorten, die näher an der Ursprungsart liegen, eröffnet man sich ganz neue (beziehungsweise alte) Aroma-Erlebnisse. Die Samen alter Tomatensorten sind immer noch online zu beziehen, zum Beispiel Gartenperle oder Ochsenherz oder die beliebtesten Sorten der DDR-Bürger, nämlich Balkonzauber und Harzfeuer. Probieren Sie außerdem doch mal vergessene Gemüse wie Palmkohl und Haferwurzel (Bocksbart), der ähnlich wie Topinambur schmeckt. Auch Schwarzwurzeln oder Mairüben bereichern den Mittagstisch. Achtung: Bei der Zubereitung von Schwarzwurzeln besser Latexhandschuhe tragen, der milchige Saft verfärbt und klebt.

Die Krönung der Selbstversorgung ist natürlich die Kleinviehhaltung. Das eigene Hühnervolk ist derzeit voll im Trend, viele Promis machen es vor (unter anderem Barbara Schöneberger und Verona Pooth). Doch Achtung, in Wohngebieten unterliegt die Nutztierhaltung vielen Auflagen, was Dreck und Lärm betrifft. Auch Mindestplatzangebot und Schutz vor Fuchs, Marder & Co. ist zu beachten. Aber wer weiß, vielleicht werden auch bald wieder Stallhasen und Balkonschweine (wie nach dem Ersten Weltkrieg) populär, um die Lebensmittelkrise abzufedern.