© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Offener Brief gegen Waffenlieferungen
Krieg unter Linken
Moritz Schwarz

Empathielos und herablassend“, „Täter-Opfer-Umkehr“, „Zynische Verdrehung der Realität“, die Kritik an dem offenen Brief von „28 Intellektuellen und KünstlerInnen“ in Alice Schwarzers Emma läßt fast nichts aus – dabei ist in dem Text tatsächlich kaum einer der Vorwürfe zu finden. Natürlich, dessen Forderung – vor allem aus Furcht vor einem Atomkrieg keine schweren Waffen an Kiew zu liefern – ist moralisch wie politisch angreifbar. Doch das gilt ebenso für die Position der Kritiker des Briefs – die zudem vielfach den Eindruck erwecken, die Moral gepachtet zu haben.

Das ist nicht ohne Ironie, denn der offene Brief vertritt inhaltlich die klassische Position der deutschen Friedensbewegung. Gerade für die aber war die Haltung der „gepachteten Moral“ immer typisch: sich als die Inkarnation von Vernunft und Ethik zu wähnen und alle, denen „Sicherheitspolitik“ à la „Make love, not war“ und „Petting statt Pershing“ infantil-gefährlich vorkam, mindestens zu Minderbemittelten, wenn nicht Verbrechern am Weltfrieden zu erklären. Das war ihr in Wahrheit niemals friedfertiger Ton damals. Und dieser Ton wendet sich nun seit neuestem – seit dem Einmarsch in die Ukraine – ebenso schrill (und ebenso unangemessen) gegen seine bisherigen Inhaber.

Welche Seite diesen, die Linke spaltenden Streit gewinnen wird, hängt ganz vom Krieg ab: Eskaliert er, was keineswegs unmöglich ist, wird sich die Öffentlichkeit den Warnern zuwenden. Bleibt er begrenzt, läuft diesen die „Waffenlieferer“-Fraktion den Rang ab. Früher oder später wird Putins Krieg eine Seite marginalisieren.