© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Kalte Progression belohnt nur den Staat
Der Minister hat es nicht eilig
Ulrich van Suntum

Die Inflationsrate kletterte zuletzt auf 7,4 Prozent, und der Staat verdient kräftig dabei mit. Denn über kurz oder lang steigen auch die Löhne und Gewinne, wenn auch nur auf dem Papier. Denn wenn alles teurer wird, bleiben die realen Einkommen in Wirklichkeit dabei konstant oder sinken gar. Die Finanzämter aber tun trotzdem so, als seien alle reicher geworden. Und das schwämmt dem Fiskus ungerechtfertigtes Geld in die Kasse. Allein in diesem Jahr sind es nach Schätzung des Bundes der Steuerzahler 13 Milliarden Euro zuviel. Denn wegen der Steuerprogression geraten durch die Inflation Millionen von Arbeitnehmern, Rentnern und Familien in einen höheren Steuertarif, der für sie gar nicht gedacht ist. 

Dieses Problem der Besteuerung von inflationärem Schein-Einkommen ist als „kalte Progression“ seit langem bekannt. Ohne entsprechende Korrektur würden wir irgendwann alle Reichensteuer zahlen. Finanzminister Lindner hat es aber nicht eilig, erst im Herbst will er einen „fairen Vorschlag“ vorlegen. Dabei liegen entsprechende Konzepte schon seit Jahren fertig auf dem Tisch. Am besten wäre ein „Tarif auf Rädern“, der das zu versteuernde Einkommen automatisch jedes Jahr um die Inflationsrate nach unten korrigiert. Ein ertappter Trickdieb kann ja auch nicht erst mal überlegen, wie und wann er das gestohlene Geld zurückgibt. 






Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte bis 2020 VWL an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.