© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Urteil: Nicht zuständig
Partielle Impfpflicht: Das Bundesverfassungsgericht sieht keinen Bedarf für eine Prüfung
Björn Harms

Das Bundesverfassungsgericht hat bislang keine einzige Beschwerde gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht zur Entscheidung angenommen. Insgesamt seien bis zum 29. April 215 Verfassungsbeschwerden gegen die „einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht nach § 20a Infektionsschutzgesetz“ eingegangen, teilte das Gericht am Freitag auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. 172 Beschwerden, also 80 Prozent aller Fälle, seien „nicht zur Entscheidung angenommen“ worden. 

„In sämtlichen der bereits erledigten Verfahren wurden die Verfassungsbeschwerden entweder mit einer sogenannten Tenorbegründung nicht zur Entscheidung angenommen oder es wurde vollständig von einer Begründung der Entscheidung abgesehen“, heißt es aus Karlsruhe. Weitere 43 Verfahren seien noch anhängig.

In einem Beschluß vom 10. Februar hatte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit dem die Beschwerdeführer begehrten, den Vollzug der „einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht“ vorläufig auszusetzen. Über das Hauptsacheverfahren hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden.  

Die ablehnende Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts beruhe auf einer verfehlten Abwägung, kritisiert der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek gegenüber der jungen freiheit: „Die Impfrisiken werden völlig unterschätzt, das Gericht nimmt fälschlich an, daß von den Ungeimpften ein wesentlich größeres Ansteckungsrisiko ausgeht als von Geimpften, und es bagatellisiert den Druck, sich impfen zu lassen, den das faktische Berufsverbot für ungeimpfte im Gesundheitswesen Beschäftigte ausübt.“ 

Um so dringender geboten sei jetzt eine sorgfältig begründete und schnelle Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, mahnt der emeritierte Rechtswissenschaftler an. „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist evident verfassungswidrig, weil geimpftes und ungeimpftes Pflegepersonal mit ähnlich großer Wahrscheinlichkeit das Virus auf Patienten überträgt und weil, sofern die Wahrscheinlichkeit bei geimpften (frisch geboosterten) Pflegepersonen für einige Wochen geringer ist, der Unterschied durch tägliche Tests der ungeimpften Pflegepersonen nivelliert beziehungsweise zugunsten der Ungeimpften sogar wesentlich verbessert werden könnte“, ist Murswiek überzeugt.

Ein Termin für die Entscheidung in der Hauptsache sei noch nicht absehbar, teilte die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts mit.