© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Da könnte ja jeder kommen
Christian Vollradt

Direkt gegenüber dem Ostportal des Reichstags am Friedrich-Ebert-Platz befindet sich einer der exklusivsten Clubs der Hauptstadt: die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft (DPG). Rein kommt nur, wer schon drin ist – also im Bundestag. Bedeutet: Mitglied kann nur werden, wer Abgeordneter ist. Bis vor kurzem galt das auch für Landtage, mittlerweile ist es – aktuellen oder ehemaligen – MdB vorbehalten, Teil dieser Gesellschaft zu werden. 

Dafür muß man wie in jedem Verein einen mittleren dreistelligen Mitgliedsbeitrag leisten, doch auch der Steuerzahler legt was drauf. Aktuell sind es laut Haushalt rund 2,5 Millionen Euro im Jahr. Außerdem darf die DPG ihre dem Bund gehörenden Räumlichkeiten unentgeltlich nutzen. Und die sind reichlich prachtvoll mit Kronleuchtern, Marmor und Kassettendecken, standesgemäß im ehemaligen Reichspräsidentenpalais. 

Gegründet wurde die DPG als Club der Abgeordneten 1949 in Bonn und sollte dem Miteinander-Parlieren – über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg – dienen. Und zwar frank und frei, ohne lästige Zuhörer, weshalb (bei aller Offenheit für Gäste ohne Mitgliedsstatus) Journalisten auch eine eher unerwünschte Spezies im gediegenen Clubambiente sind. 

Ein Stück bundesdeutscher Freiheitsgeschichte nannte ein Publizist die DPG. Ihre Gründer hätten nach dem Untergang der Weimarer Republik und der NS-Diktatur einen Ort geschaffen, an dem „parlamentarische Kollegialität ganz bewußt über den Parteienstreit“ gestellt wurde. Diese Schwerpunktsetzung scheint jedoch nun etwas unter die Räder geraten zu sein. Vergangene Woche kam die Mitgliederversammlung zur Neuwahl des Vorstands der DPG zusammen. Die bisherige Präsidentin Michaela Noll (CDU) war 2021 nicht wieder zur Bundestagswahl angetreten. 

Für manches Mitglied überraschend, lag als Tischvorlage eine vom alten Vorstand sowie den Kassenprüfern fertige Vorschlagsliste, die per Akklamation abgenickt werden sollte. Neben dem Kandidaten für das Präsidentenamt, dem Brandenburger Bundestagsabgeordneten Stefan Zierke (SPD), war für jede Fraktion ein Kandidat für den Vize-Posten vorgesehen – mit Ausnahme der AfD. Üblicherweise war (bis 2017) jede Fraktion gemäß der Anzahl ihrer Ausschußsitze im DPG-Vorstand vertreten. 

Als Stephan Brandner von der AfD seinen Fraktionskollegen Malte Kaufmann als weiteren Kandidaten für einen Vorstandsposten vorschlug, ließ der Sitzungsleiter die Anwesenden abstimmen, ob der Abgeordnete aus Baden-Württemberg überhaupt zur Wahl antreten dürfe. Ergebnis: nein. Für Brandner und Kaufmann ist es eine Ungeheuerlichkeit, daß man einem Vereinsmitglied verweigere, sich überhaupt zur Wahl zu stellen. Das Vorgehen sei in keiner Weise von der Geschäftsordnung der DPG gedeckt. „Wir prüfen juristische Schritte dagegen“, kündigten beide gegenüber der JUNGEN FREIHEIT an. Möglich, daß danach die per Handzeichen und Einheitsliste erfolgte Vorstandswahl am Ende ungültig ist.