© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Grüße aus … Wien
„Trag den Garten raus!“
Robert Willacker

Nach einem wettertechnisch launenhaften April, der seinem sprichwörtlichen Charakter alle Ehre machte, hält nun endlich der Sommer Einzug in der schönen Stadt an der Donau. Mit steigenden Temperaturen und dem wärmenden Sonnenschein füllen sich nach langer Winterpause auch wieder die Parks, Wiesen und Schanigärten der Stadt.

 Schanigärten? Schanigärten! Anders als man im ersten Moment vermuten könnte, handelt es sich bei Schanigärten jedoch keineswegs um die österreichische Sprachvariante der auch hierzulande beliebten Schrebergärten.

 Vielmehr nennt man in Wien ein Ensemble von Tischen und Stühlen so, das von geschäftstüchtigen Wirten überall auf Bürgersteige, zwischen Parkbuchten und neben Baustellen gequetscht wird. Doch woher kommt der Name „Schanigarten“ und was macht ihn so besonders? 

Der Schanigarten ist für viele Bewohner der Stadt Sehnsuchtsort und Fluch zugleich.

„Schani, trag den Garten raus“ lautete im 19. Jahrhundert ein gängiges Kommando des Wirts an seinen jüngsten Mitarbeiter, was im Klartext bedeutete, daß der gastronomische Betrieb aufgrund des herrlichen Wetters umgehend nach draußen zu verlagern sei. Der Begriff „Schani“ ist dabei bis heute ein gültiges Synonym für „Kellner“, wenngleich der allgemeine Gebrauch dieses schönen Wortes doch spürbar abgenommen hat. 

Damals wie heute führt der gastronomische Eifer jedoch verläßlich zu einem zähen Ringen zwischen den Wirten, der Obrigkeit und der Anwohnerschaft, denn die Tische und Stühle stehen traditionell auf öffentlichem Grund, was sie auch von herkömmlicher Außengastronomie anderswo in der Welt unterscheidet. 

Die mitunter jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen, die regelmäßig durch Schanigärten hervorgerufen werden, drehen sich dabei um allerlei Begleiterscheinungen wie Zigarettenrauch, Lärm und die Nichteinhaltung verschiedenster Abstände von der Bordsteinkante bis zur Nachbartür.

 Der Schanigarten ist für viele Bewohner der Stadt Sehnsuchtsort und Fluch zugleich. Doch nicht nur trotzdem, sondern gerade weil er immer wieder Ärger verursacht, gehört der Schanigarten zu Wien wie die Fiaker oder die Donau. Der weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte „Wiener Grant“, diese weltweit einmalige und zur Lebenseinstellung gewachsene Lust am Weltschmerz benötigt eine Stoßrichtung, und der Schanigarten gibt ein ganz hervorragendes Ziel ab. 

Den Gast – egal ob Wiener oder Tourist – bekümmert dies freilich wenig. Er läßt bei einem Glas Weinschorle das turbulente Großstadtleben an sich vorbeiziehen, und so manch einen Grantler, der leidenschaftlich über den Schanigarten vor der eigenen Haustür schimpft, hat man schon anderswo weinselig in eben solch einem sitzen sehen.