© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Angst vor Moskaus Epansionsgelüsten
Moldawien/Transnistrien: Der austarierten Kooperation zwischen beiden Staaten droht Gefahr / Moldawien ruft Generalmobilmachung aus
Marc Zoellner

Wer beschoß das transnistrische Ministerium für Staatssicherheit? Gleich mehrere Explosionen erschütterten vergangene Woche die Stadt Tiraspol, den Sitz der von Moldawien abtrünnigen „Transnistrischen Moldauischen Republik“ im äußersten Südosten Europas. Mit Granatwerfern feuerten Unbekannte sowohl auf das Ministeriumsgebäude als auch auf den Funkturm eines russischsprachigen Radiosenders. Ebenso wurden Schüsse unweit eines russischen Munitionslagers in der Gemeinde Cobasna gemeldet. In Cobasna, welches nur gut zwei Kilometer entfernt von der Grenze zur Ukraine liegt, findet sich mit über 20.000 Tonnen an Munition und Rüstungsgütern das größte postsowjetische Waffenlager außerhalb des russischen Territoriums. Seit dem Ende des moldawischen Bürgerkriegs von 1992 hält Rußland in Transnistrien, dessen Bevölkerung von rund einer halben Million Menschen zu je einem Drittel Rumänisch, Russisch und Ukrainisch spricht, mehr als 1.500 Soldaten dauerhaft stationiert.

Mit den Anschlägen von Tiraspol wurde von daher nicht nur die Infrastruktur der Sezessionsrepublik kritisch getroffen, sondern ebenso Moldawiens eigenes Sicherheitskonzept. Die Beziehung beider Teilregierungen in Kischinau, der offiziellen Hauptstadt Moldawiens, und Tiraspol ist auf Kooperation ausgelegt, welche regelmäßig vertraglich erneuert wird. Beide Teilstaaten trennt der Fluß Dnister, der wenige Kilometer südlich der ukrainischen Hafenstadt Odessa ins Schwarze Meer mündet. 

Einer russischen Invasion wenig entgegenzusetzen

Ende April erst hatten Kischinau und Tiraspol ihr Handelsabkommen verlängert, welches weitere Stromlieferungen aus den in Transnistrien gelegenen Kraftwerken nach dem westlichen Moldawien garantiert sowie im Gegenzug die transnistrischen Metallwerke, den größten Arbeitgeber der Separatistenrepublik, weiterhin von den moldawischen Liefernetzwerken in Richtung Brüssel profitieren läßt. Die EU ist nicht nur Moldawiens, sondern auch Transnistriens wichtigster Außenhandelspartner.

„Die transnistrische Führung ist unter starkem Druck“, erklärte die moldawische Journalistin Alina Radu jüngst im Interview mit der britischen Tageszeitung The Guardian. „Zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist sie isoliert. Sowohl Moldawien als auch die Ukraine haben Regierungen, die nicht prorussisch sind. Der transnistrischen Elite bleiben nur zwei Möglichkeiten: den Befehlen Putins zu folgen, oder eine blühende Zukunft in Europa zu haben.“ 

Tatsächlich mutmaßt die moldawische Präsidentin Maia Sandu hinter den Explosionen von Tiraspol einen ausufernden Grabenkrieg zwischen prorussischen und prowestlichen transnistrischen Fraktionen. Tiraspol wiederum beschuldigt die Ukraine des „Terrorakts“, während ukrainische Politiker die russische Regierung der Destabilisierung Moldawiens im Schatten des Ukraine-Kriegs verdächtigen.

Wie Kiew mutmaßt auch die renommierte britische Denkfabrik „Royal United Services Institute“ (RUSI), mit einer Schwächung der inneren Stabilität Moldawiens wolle der russische Inlandsgeheimdienst FSB „ukrainische Truppen an die Südgrenze zu Transnistrien binden sowie dem Westen zeigen, daß eine Unterstützung der Ukraine für alle, inklusive der Balkanstaaten, weitreichende Konsequenzen bringt.“ Erst Mitte April verkündete Rustam Minnekaev, Generalmajor des russischen Zentralmilitärbezirks, die zweite Phase der „Spezialoperation“, wie der Kreml den Krieg gegen die Ukraine euphemistisch benennt, bestünde in der Herstellung „der vollen Kontrolle über den Donbas und den Süden der Ukraine.“ Letztere, so Minnekaev, sei „ein weiterer Weg nach Transnistrien, wo russischsprachige Menschen unterdrückt werden“.

Bereits am 21. April hatte Tiraspol die Mobilmachung sämtlicher Männer zwischen 18 und 55 Jahren ausgerufen. Für den 9. Mai, an welchem Rußland traditionell mit Militärparaden den „Tag des Sieges“ feiert, erwarten westliche Konfliktbeobachter eine erneute Ankündigung des russischen PräsidentenWladimir Putin zum Ukraine-Krieg; möglicherweise sogar die russische Generalmobilmachung. Viele moldawische Bürger hingegen befürchten zu diesem Datum Rußlands Kriegserklärung an ihr eigenes Land. Einer russischen Invasion nach Vorbild der Ukraine hätte Moldawien mit seinen 3.500 Soldaten nur wenig entgegenzusetzen.