© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Geschichte wiederholt sich
Energiesicherungsgesetz: Enteignungen sind möglich, aber die praktischen Probleme liegen im Detail
Dirk Meyer

Mit seiner Feststellung „Deutschland ist für mich ein Gefangener Rußlands“ löste Donald Trump auf dem Nato-Gipfel in Brüssel am 23. Juli 2018 in Deutschland überwiegend Unverständnis aus. Die Aussage gipfelte Ende 2019 in dem Sanktionsgesetz des US-Kongresses, mit dem der Bau der fast fertiggestellten Gaspipeline Nord Stream 2 (Baukosten etwa 9,5 Milliarden Euro) gestoppt wurde. Zugleich zwangen die USA Drittstaaten – auch Deutschland – zur Einhaltung dieser Sanktion, was nach dem Welthandelsrecht stark umstritten ist. Hintergrund war nicht nur der seit 2014 schwelende Ukraine-Konflikt, sondern auch das amerikanische Interesse am globalen Absatz von Fracking-Erdgas.

Dies belegt erneut, daß deutsch-russische Energiebeziehungen zugleich mit transatlantischen Konflikten einhergehen können. Bereits 1959 lieferte Westdeutschland Röhren für den Bau einer Ölpipeline von Tatarstan bis Schwedt an der Oder (5.327 Kilometer), über die auch die heutige PCK-Raffinerie versorgt wird. Über einen Nato-Beschluß, der die Röhren als „strategisch“ definierte, erreichte die Regierung Kennedy die Stornierung des Vertrages kurz vor der Fertigstellung im Dezember1963.

Verringerte Abhängigkeit von den arabischen Energielieferanten

Erst mit der Entspannungspolitik in den 1970er Jahren, die die SPD-Politiker Willy Brandt und Egon Bahr, aber auch US-Sicherheitsberater Henry Kissinger stark förderten, kam es zu einem „Wandel durch Annäherung“ und der Verknüpfung von wirtschaftlichen Zugeständnissen mit politischem Wohlverhalten. Bereits am 1. Februar 1970 kam es zur Unterzeichnung dreiseitiger Verträge über die Lieferung von sowjetischem Erdgas über 20 Jahre an die Ruhrgas AG im Wert von 2,5 Milliarden D-Mark. Als Gegenleistung lieferten die Mannesmann und Thyssen 1,2 Millionen Tonnen Großröhren. Ein Konsortium von 17 westlichen Banken gab die Kredite, die der Bund zu 50 Prozent über eine Hermes-Bürgschaft absicherte.

Der Ölpreisschock 1973 anläßlich des Jom-Kippur-Krieges, bei dem am 6. Oktober Ägypten und Syrien Israel angriffen, offenbarte sich die große Marktmacht der Organisation der arabischen erdölexportierenden Länder (OAPEC). Die erste Ölkrise machte zugleich die Bedeutung der sowjetischen Energielieferungen auch für die USA sichtbar, die jetzt selbst mit dem Kreml über eine Energiepartnerschaft zur Förderung eines großen Erdgasfeldes in Nordsibirien verhandelten. Der Ölmangel traf die westlichen Staaten mit großer Wucht, da der Preisanstieg um 300 Prozent voll auf die Produzenten und Verbraucher durchschlug. In Westdeutschland kam es 1974/75 deshalb zu einer schweren Rezession. Die Marktwirtschaften des Westens mußten schnell Einsparungen vornehmen. Die hohen Energiepreise wirkten als Innovationsanreize zur Steigerung der Energieeffizienz.

In den Ostblockstaaten gab es diesen Druck nicht. Erst als die UdSSR 1978 aufgrund von Devisenknappheit den Ölpreis auf 80 Prozent des Weltmarktniveaus setzte, kamen die Planwirtschaften in dauerhafte Schwierigkeiten. In der DDR wurden Braunkohle und Dampfloks reaktiviert und verstärkt auf Atomkraft gesetzt. Für die Bundesregierung sollte dies eine Lehre sein, mit verbrauchsabhängigen Unterstützungen von Unternehmen und Privathaushalten (Steuersenkung für Benzin und Diesel, Unterstützungen für energieintensive Firmen) besonnen umzugehen. 1973 reagierte die Bonner Politik sofort. Gut einen Monat nach dem krisenauslösenden Nahostkrieg wurde am 9. November ein Energiesicherungsgesetz beschlossen, das 1975 in reformierter Fassung erneuert wurde.

Staatliche Höchstpreise für Gas, Ölerzeugnisse und sonstige Energie

Durch Rechtsverordnungen konnten Vorschriften über „die Produktion, den Transport, die Lagerung, die Verteilung, die Abgabe, den Bezug, die Verwendung sowie Höchstpreise von Erdöl und Erdölerzeugnissen, von sonstigen festen, flüssigen und gasförmigen Energieträgern, von elektrischer Energie und sonstigen Energien“ erlassen werden. Auch die strategische 90-Tage-Erdölreserve hat dort ihren Ursprung. Selbst ein Sonntagsfahrverbot und Tempolimits (100 km/h auf Autobahnen; 80 km/h auf Landstraßen) wurden 1973/74 erlassen. Dies zeigte wenig Wirkung, doch all das schärfte das Bewußtsein zur Energieeinsparung.

Der Ukraine-Krieg und die durch die westlichen Sanktionen bzw. die russischen Gegenmaßnahmen hervorgerufene Energieverknappung machte eine Neufassung des Gesetzes notwendig (JF 10/22). Genehmigungspflichtig werden zukünftig Stillegungen von kritischer Infrastruktur. Eine digitale Plattform, auf der etwa 2.500 größere Industriebetriebe und Gashändler verschiedene Daten hinterlegen müssen, soll im „Gasnotfall“ die Grundlage für eine Prioritätenliste bieten. Doch welche Kriterien einen Vorrang abseits des Marktpreises steuern sollen, ist bislang umstritten.

Die Treuhandübernahme von Gazprom Germania (Händler Wingas, Transporteur Gascade, Gasspeicherbetreiber Astora) durch die Bundesnetz­agentur war eher zufällig möglich, da ein formaler Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz vorlag. Deshalb wurden Regelungen zur Treuhandschaft und Enteignung neu eingeführt. Die Treuhandschaft löst allein wenig, fehlt doch die Managementexpertise im Detail. Die Bundesnetzagentur kann die Speicher nicht selbst befüllen, da sie an Dritte vermietet sind. Zudem befürchtet sie einen Zusammenbruch der Gesellschaft, sollten Banken, Dienstleister und Kunden ihre Beziehungen zu Gazprom Germania aufgrund von Risiken nicht weiterführen. In einem Bittbrief wurden diese zur Kooperation aufgefordert.

Bei der PCK-Raffinerie in Schwedt, sie versorgt den Großraum Berlin-Brandenburg mit Kraftstoff und Heizöl, scheint die Verstaatlichung in greifbarer Nähe. Bis vor kurzem wollte Rosneft seine PCK-Mehrheitsbeteiligung sogar noch ausbauen. Shell wollte seine Anteile verkaufen, die Genehmigung des Bundeskartellamts lag schon vor. Doch ohne russisches Öl – die Raffinerie ist direkt an die „Drushba“-Pipeline gekoppelt – nützt eine Enteignung nichts, sondern verschärft eher die Knappheitslage. Alte Weisheiten bewahrheiten sich: So steckt der Teufel bekanntlich im Detail, und Sanktionen haben im Regelfall hohe wirtschaftliche Verluste – eine „Lose-Lose-Situation“ – für beide Seiten zur Folge.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.