© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Ohne Rücksicht auf eigene Verluste
Wirtschaftspolitik: Die Zukunft der Raffinerie Schwedt steht auf dem Spiel / Wie kommt Öl aus Rotterdam nach Brandenburg?
Paul Leonhard

Die Eigenwerbung „Wir bewegen Berlin und Brandenburg“ der PCK-Raffinerie in Schwedt ist wahrlich keine Übertreibung: Am westlichen Ufer der Oder werden jährlich zwölf Millionen Tonnen Erdöl aus der „Drushba“-Pipeline verarbeitet. Aus dem daraus gewonnenen Benzin, Diesel, Heizöl, Kerosin und Bitumen für den Straßenbau werden 90 Prozent der Versorgung von Berlin und Brandenburg sowie der Grenzregion in Polen sichergestellt – und das seit Jahrzehnten. Es geht um zwei Milliarden Euro Umsatz jährlich sowie 1.200 eigene PCK-Mitarbeiter und etwa doppelt so viele bei Zulieferern und Dienstleistern.

Aber russisches Öl soll wegen des Ukraine-Kriegs schnellstens ersetzt werden – das wäre für Deutschland „tragbar“, würde an der Wirtschaft jedoch „nicht spurlos vorbeigehen“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die parteilose Schwedter Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe ist entsetzt: „Wir sind noch völlig fassungslos über Ihre Ankündigung auf dem Twitter-Portal, die in unserer Stadt und Region mit großer Verunsicherung aufgenommen wurde“, heißt es in einem offenen Brief, der am Montag Habecks Parteifreund und Staatssekretär Michael Kellner übergeben wurde. Für den anstehenden Transformationsprozeß sei ein zeitlicher Vorlauf nötig. Man wolle keine „politischen Diktate“ aus der Ferne, sondern verlange Handeln mit Bedacht und Weitsicht.

Der russische Anteil an der deutschen Öl-Versorgung ist seit Februar zwar von 35 auf zwölf Prozent gesunken – aber der verbliebene Rest kommt über die „Drushba“-Pipeline zur PCK-Raffinerie und zur Total-Raffinerie in Leuna westlich von Leipzig. Der französische Konzern hatte Ende März angekündgt, bis spätestens Jahresende völlig auf russisches Erdöl zu verzichten. In Schwedt ist es nicht so einfach: PCK ist mehrheitlich im Besitz des russischen Rosneft-Konzerns. Durch das Ende Mai zur Abstimmung vorbereitete novellierte Energiesicherungsgesetz könnte die PCK-Raffinerie zwar unter Treuhandaufsicht gestellt werden und dann nichtrussisches Rohöl verarbeiten, das über die Häfen Rostock und Danzig geliefert wird.

Gibt es überhaupt ausreichend geeignete Tank- und Umschlagkapazitäten für den Öltransport von Rotterdam aus? Bei der Deutschen Bahn gibt es kaum zusätzliche Frachtkapazitäten, Öl zu transportieren. Es würden sowohl Kesselwagen als auch freie und intakte Routen fehlen, berichtete das Handelsblatt. Die vorhandene Pipeline zwischen Rostock und Schwedt kann nicht einmal die Hälfte des PCK-Ölbedarfs abdecken. Und: „Wir können nicht einfach Öl aus Arabien oder Australien raffinieren“, warnte PCK-Chef Ralf Schairer in der Wirtschaftswoche. Alle Produktionsprozesse in der Raffinerie seien auf die Verarbeitung von Rußland-Öl abgestimmt: „Das macht die Situation so eklatant.“

„Die Auswirkungen wären sozial und wirtschaftlich katastrophal“

Der Ölmarkt funktioniere – anders als der Erdgas-Markt – zudem wie ein Verschiebebahnhof: Wenn russisches Öl nicht mehr nach Europa gelangen könne, ginge es „wahrscheinlich nach Asien, zum Beispiel nach China und Indien, und wir würden dann das Öl einkaufen, das zuvor beispielsweise nach China und Indien geflossen ist“. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke wurde noch deutlicher: „Bei einer Krise der Energieversorgung, etwa durch ein Öl- und Gasembargo, wären die Auswirkungen sozial und wirtschaftlich katastrophal.“ Wenn von drei Millionen zusätzlichen Arbeitslosen geschrieben werde, „falls gar kein Gas und Erdöl mehr aus Rußland geliefert wird, so halte ich das für eine Untertreibung“, so der Sozialdemokrat in der Märkischen Oderzeitung.

Und Woidke hat nicht vergessen, daß sich Rosneft nach dem Shell-Rückzug im vergangenen November aus Schwedt vorbehaltlos zum Standort im Nordosten Brandenburgs bekannt habe. Damit seien der Standort und viele Arbeitsplätze langfristig gesichert worden. Den grünen Geo- und Klimastrategen Habeck interessieren solche regionalen Sorgen wenig. Beim EU-Energieministertreffen am Montag in Brüssel plädierte er energisch für ein Öl-Embargo gegen Rußland. Die EU-Kommission formuliert nun Vorschläge für ein sechstes Sanktionspaket. Für die östlichen Mitgliedsstaaten Ungarn und Slowakei, die als Binnenländer besonders von russischem Pipelineöl abhängig sind, wird es wohl Ausnahmen geben. Der Bundesregierung und der Unionsfraktion im Bundestag sind politische Überzeugungen wichtiger – koste es, was es wolle.

PCK Raffinerie GmbH Schwedt: www.pck.de

Foto: Gasverbrennung bei PCK: „Können nicht einfach Erdöl aus Arabien oder Australien raffinieren“