© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Alle Mittel und Wege nutzen
Der Kulturkampf in den USA nimmt immer schärfere Formen an – die Konservativen rütteln an der linken Deutungshoheit
Björn Harms

Nachdem US-Präsident Joe Biden vergangene Woche unter den Namen „Disinformation Governance Board“ eine Art Wahrheitsministerium installiert hatte, ließ die Antwort der Republikanischen Partei nicht lange auf sich warten. Es sei ein „verfassungswidriges und unamerikanisches Mittel“, hieß es wütend aus ihren Reihen. Vor allem ein Mann setzte sich sogleich an die Spitze der Kritiker. „Man kann in diesem Land kein Wahrheitsministerium haben“, echauffierte sich Floridas Gouverneur Ron DeSantis über das dreiköpfige Gremium, das künftig „Fehlinformationen im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit entgegenwirken“ soll. 

Den Vorsitz übernimmt dabei die selbsternannte „Desinformationsexpertin“ Nina Jankowicz, eine „woke“ Akademikerin par excellence. Wenig verwunderlich, daß auch die 33jährige Politologin die jüngste Ankündigung, Elon Musk wolle Twitter kaufen, äußerst reserviert zur Kenntnis genommen hatte. Wenn Musk die freie Meinungsäußerung in den sozialen Medien ausweite, sei dies schlecht für „marginalisierte Minderheiten“, ließ sie verlautbaren. Einmal mehr verdeutlicht sich: auch oder gerade in den USA versucht die politische Linke mit allen Mitteln, ihre bislang unangefochtene Deutungshoheit zu verteidigen – und rechte Kritik möglichst früh zum Schweigen zu bringen. Doch das „woke“ Gerüst wackelt. Der Kulturkampf nimmt schärfere Formen an, was nicht zuletzt am wachsenden Widerstand der Konservativen liegt.

Floridas Gouverneur DeSantis kündigte nun kämpferisch an: „Wir werden Biden das nicht durchgehen lassen. Also werden wir zurückschlagen.“ Das Stichwort „Zurückschlagen“ beschreibt dabei die derzeitige Grundhaltung des 43jährigen nur allzu gut. DeSantis eröffnet bereits das nächste Schlachtfeld, während die Nachzugsgefechte vergangener Kämpfe noch andauern. Im Fokus standen zuletzt seine Auseinandersetzungen mit dem Konzern Disney, der sich vollends der „woken“ Ideologie verschrieben hat. Nicht nur werden die Themenparks politisch-korrekt umgestaltet, selbst Kinderserien behinhalten immer häufiger die seltsame Melange aus LGBTQ-Fetischismus und identitärer Gruppenauslese. Zudem äußerte die Konzernspitze erst kürzlich, daß Amerika auf „systematischem Rassismus“ aufgebaut sei und wies ihre Angestellten an, ihre weißen Privilegien zu hinterfragen.

Der Streit zwischen Disney und DeSantis hat eine längere Vorgeschichte: Ein Schwerpunkt des Kulturkampfes in den USA hat sich mittlerweile auf den Bildungsbereich verlagert. Was einst nervige altlinke 68er-Lehrer waren, wurde längst abgelöst durch eine neue Generation an LGBTQ-Pädagogen, die der bunten Regenbogenideologie frönen und Schülern bereits in jungen Jahren eintrichtern, man könne beliebig das Geschlecht wechseln und weißen Personen eine „rassistische“ Erbschuld zuschreiben.

Ron DeSantis will dem Treiben einen Riegel vorschieben. Ende März unterzeichnete er ein Gesetz („Parental Rights in Education“), das es Grundschullehrern verbietet, im Unterricht über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität zu sprechen. Anschließend polemisierte Disney öffentlich gegen das Gesetz. CEO Bob Chapek kündigte an, aktiv daran zu arbeiten, den Beschluß rückgängig zu machen. Zuviel für DeSantis: „Hier wurde eine Linie überschritten. Dieser Staat wird von der Bevölkerung Floridas regiert und nicht von Forderungen einer kalifornischen Unternehmensführung.“ Vergangene Woche unterzeichnete der Harvard-Absolvent ein weiteres Gesetz, das Disney seit 1968 bestehende Privilegien entzieht, mit denen der Konzern praktische staatliche Hoheitsrechte über das 11.330 Hektar große Disneyland ausübte. Ein Ende des Streits ist nicht in Sicht.

Wie die „woke“ Ideologie zunehmend in die Schulen einsickert, bemerkt jedoch auch die breite Bevölkerung zunehmend, da umtriebige konservative Aktivisten das Problem in die Öffentlichkeit zerren. Eines dieser Projekte ist etwa der Social-Media-Account „Libs of Tiktok“ (in etwa: „Linksliberale auf Tiktok“), dessen Inhalte in den USA derzeit allgegenwärtig sind. Mittlerweile hat das Konto eine Million Follower auf Twitter und über 140.000 Abonnenten bei Instagram. Der große Erfolg basiert auf einer recht simplen Methode: „Libs of TikTok“ sichtet Videos aus der „woken“ Blase des Internets und liefert die Plattform, auf der die Aufnahmen dann zweitverwertet werden. Die Abgründe dieser ursprünglich zumeist auf Tiktok veröffentlichten Videos lassen einen erschaudern. Mal berichtet eine junge Frau fröhlich über ihre x-te Abtreibung. Dann erzählt eine Mutter wütend, wie ein Arzt es gewagt hat, ihr zu sagen, daß ihr 9jähriges Kind „zu jung ist, um sich selbst zu kennen“ und sich tatsächlich weigerte, den Geschlechtswechsel ihres „Transgender-Kindes“ medizinisch zu begleiten. An anderer Stelle zeigen Grundschullehrer ihren Klassenraum, der mit Regenbogenfahnen, „Black Lives Matter“-Fahnen und Corona-Impfwerbung dekoriert ist. Kurzum: In den Videos wird deutlich, wie tief der „woke“ Wahnsinn bereits in der Durchschnittsgesellschaft verankert ist und wie Kinder damit indoktriniert werden.

Bis vor kurzem war der Kurator des Accounts „Libs of Tiktok“ anonym. Doch nun, da sein Einfluß auf den politischen Diskurs wächst und die Inhalte auch von prominenten konservativen Stimmen geteilt werden, reagiert der Mainstream unbarmherzig. In der Washington Post publizierte die Reporterin Taylor Lorenz eine großangelegte Enthüllungsstory, in der sowohl der Name als auch privateste Informationen zur Person hinter dem Benutzerkonto veröffentlicht wurden. Dies ist sowohl in den USA als auch in anderen westlichen Demokratien, in denen die großen Medienhäuser der herrschenden Ideologie schützend zur Seite stehen, ein bewährtes Muster. Abtrünnige werden bewußt in die Öffentlichkeit gezerrt, mal um an ihnen ein Exempel zu statuieren und sie zu denunzieren, mal um zu versuchen, unliebsame Stimmen, die den herkömmlichen Medien den Rang ablaufen, aus dem Diskurs herauszunehmen.

Die Inhalte des Accounts wurden im Artikel natürlich nicht diskutiert. Im Zentrum stand allein die Betreiberin, der „Haßrede“ und „Transphobie“ nachgesagt wurden. Dabei ist das Faszinierende an „Libs of TikTok“ ja gerade, daß die Videos nicht kommentiert werden. Der Account kopiert und kolportiert lediglich die von mitteilungsbedürftigen Linken getroffenen Aussagen und ist somit ein Spiegelbild des Zeitgeistes. Zwar mußte sich die Betreiberin des Accounts, eine junge Frau, anschließend auf wüste Beschimpfungen und Bedrohungen aus der LGBTQ-Community einstellen. Doch das Spiel hat sich bereits umgedreht. Mittlerweile ist es die Washington Post-Reporterin Lorenz, deren Aussagen aus den vergangenen Jahren, die häufig vor Doppelmoral nur so strotzen, im Netz genüßlich seziert werden. Nachdem sie die Identität des „Libs of TikTok“-Accounts publik gemacht hat, gerät die 37jährige zunehmend in die Defensive und sieht sich nun als Opfer eines rechten Onlinemobs. Fairneß entschwindet zunehmend aus diesen Auseinandersetzungen, die Aggressivität nimmt zu.

Bereits vor wenigen Monaten hatte sich Taylor Lorenz unter Tränen beim Sender MSNBC bitterlich über den „Fox News“-Kommentator Tucker Carlson beklagt, der ihre Person im März 2021 ungefragt in die Öffentlichkeit gezerrt habe, als er sich in seiner Sendung über die Berichterstattung von Lorenz lustig machte. Kaum verwunderlich also, daß sich nun auch Carlson nicht zweimal bitten ließ, in die momentane Diskussion mit einstieg und der Reporterin Heuchelei vorwarf. Erst beklagt sie in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden, obwohl ihre Identität eigentlich bekannt ist, dann macht sie genau dasselbe mit einer anderen Person, ohne jedoch, daß die privaten Details von dieser vorher bekannt waren? Kurzerhand lud der 52jährige die Betreiberin von „Libs of Tiktok“ in seine Show ein und stellte die Sachlage einem Millionenpublikum vor: „Viele Leute wollen mich zum Schweigen bringen“, erzählte die junge Frau. „Aber leider wird das nie passieren.“ Die Gegner der „woken“ Ideologie sind robuster geworden, lassen sich nicht mehr so einfach aus dem Diskurs vertreiben. Das besorgt die Linken zusehends. 

Auch Tucker Carlson ist derzeit im Fokus der Aufmerksamkeit. Am Sonntag publizierte die New York Times eine mehrteilige Serie über ihn, in der das linksliberale Medium ihn zum wiederholten Male als Sprachrohr weißer Rassisten denunzierte. Doch viel Dreck wird nicht hängenbleiben. Carlson interessieren die Vorwürfe kaum, er macht sich auf Twitter darüber lustig. Der „Fox News“-Moderator ist einer der einflußreichsten Journalisten des Landes, dem abendlich knapp 3,3 Millionen Menschen zusehen. Er spricht offen über den demographischen Niedergang des Landes, die Korruption der politischen Klasse und verschiebt so den Raum des Sagbaren immer weiter, ohne daß die Linken ihn bislang canceln konnten. „Außerhalb von Fox wird Mr. Carlson als potentieller Präsidentschaftskandidat gehandelt. Innerhalb des Senders untersteht er nur den Murdochs (Anm.: Besitzer des Fox-Imperiums)“, ehrt ihn selbst die Times zähneknirschend.

Was bleibt also übrig, wenn man die Fälle Ron DeSantis, „Libs of Tiktok“ oder Tucker Carlson vergleicht? Ganz einfach: Die politische Rechte kann, wenn sie denn will, auch Geländegewinne einfahren. Die Gründe sind vielfältig, doch einige Erkenntnisse simpel. Ein Kulturkampf gegen „woke“ Abstraktionen, gegen das, was nicht ist, kann niemals zum Erfolg geführt werden, wenn man sich auf das Feld des politischen Gegners begibt, seine Sprache übernimmt und versucht argumentativ gegen die Absurditäten sinnvoll zu argumentieren. Das haben die Genannten verstanden. 

Man stellt den politischen Gegner bloß, wie „Libs of Tiktok“ es vormacht, aber besser noch, man nutzt Einfluß und Autorität aus, um radikal zu verneinen und selbst aktiv zu werden. Denn obwohl sich gerade von deutscher Seite häufig genug über die degenerierte Gesellschaft in den USA belustigt wird, so ist die Opposition und Gegenwehr gegen die Auslöser dieser Verfallsprozesse in Amerika ungleich wuchtiger. Während hierzulande in einer völlig entpolitisierten Gesellschaft im Grunde nur noch exogene Schocks für Korrekturen oder Diskursverschiebungen sorgen können, ist in den USA von innen heraus Veränderung möglich. 

Fairerweise muß angemerkt werden, daß Konservative in den USA natürlich eine ganz andere Macht- und Wählerbasis besitzen. Doch wissen sie diese auch vermehrt sinnvoll zu nutzen. Personen wie Ron 

DeSantis haben erkannt, welche Gefahr gerade für Kinder von „woken“ Großunternehmen ausgeht, handeln entsprechend und überlassen nichts einem Phantasma wie dem „freien Markt der Ideen“, der irgendwie schon dafür sorge, daß das bessere Argument gewinnt. Leute wie Tucker Carlson haben bereits früh das aufgebrochene Rechts-Links-Schema diagnostiziert, welches durch den „populistischen Moment“ (Alain de Benoist) im Sinne eines Kampfes der „woken“ Oberschicht gegen die zurückgelassene Normalbevölkerung ersetzt wurde.

Schon von diesem politischen Minimum ist man in Deutschland meilenweit entfernt. Anders als in den USA gibt es hier auch (noch) keine größere gesellschaftliche Gegenwehr, auf der sich aufbauen ließe. Denn in den USA sind es nicht nur bekannte Meinungsmacher, die zurückschlagen, sondern vor allem aufgebrachte Eltern, die auf die Barrikaden gehen. Sie organisieren Demonstrationen, üben Druck auf Politiker der Republikanischen Partei aus, besuchen ungefragt Schulratssitzungen und machen klar: „Wir wollen diese LGBTQ-Propaganda hier nicht haben!“ Es ist der Aktivismus von unten, geparrt mit der Standhaftigkeit einiger konservativer Politiker und Kommentatoren, der in den USA tatsächlich für ein Ende der „woken“ Diskursherrschaft sorgen kann. Ein Ende der Spaltung in der Gesellschaft jedoch dürfte kaum in Sicht sein – ganz im Gegenteil.

Am Montag platzte eine weitere brisante Nachricht in die aufgeheizte Debattenkultur. Der von Konservativen beherrschte Oberste Gerichtshof plant, ein altes Abtreibungsurteil aus den 1970er Jahren zu kippen. Damit wäre die Entscheidung über Schwangerschaftsabbrüche wieder den Bundesstaaten überlassen, was den Keil zwischen roten und blauen Staaten vertiefen könnte. Eine undichte Stelle hatte den Entwurf an die Medien durchgestochen, was es in der Geschichte des Supreme Courts so noch nie gegeben hat. Offenbar sollen die Richter vor ihrer Entscheidung, die im Juni erwartet wird, gezielt unter Druck gesetzt werden. In den USA werden mittlerweile alle Mittel und Wege genutzt, um dem politischen Gegner zu schaden.

Fotos: Tucker Carlson gegen die „New York Times“: Kampagne gegen den „Fox News“-Moderator; Floridas Gouverneur Ron DeSantis unterzeichnet das Kinderschutzgesetz (28. März): Im Kampf gegen „woke“ Unternehmen wie Disney