© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Ausstellungstexte als belehrende Bewacher
Eine Gauguin-Schau in der Berliner Nationalgalerie will den französischen Maler als Kolonialisten überführen
Fabian Schmidt-Ahmad

Paul Gauguin (1848–1903) war schon für das Pariser Publikum jener geheimnisvolle Maler, dessen Werke in Kisten aus Übersee anlandeten, von einem fremden Paradies in nie geschauten Farben kündend. Das Genie, das mit dem bürgerlichen Leben brach und kompromißlos seinen Weg der künstlerischen Produktion ging. Ein rastlos Suchender, ein Süchtiger nach allem, was natürlich, was echt, unverfälscht von jeder Zivilisation ist. Was von diesem Bild ist Dichtung, was ist Wahrheit?

Dieser Frage geht eine Ausstellung in der Alten Nationalgalerie in Berlin nach. Neben etwa ein Dutzend Gemälden vermitteln Zeichnungen, Keramiken und Schnitzereien Seiten von Gauguins Schaffen, die sonst hinter den Ölbildern zurückstehen. Doch auch hier ist Gauguins künstlerisches Fernweh, die Suche nach einem „Zurück zur Natur“ unverkennbar, das er vor allem in den außereuropäischen Kulturen zu finden hofft. Selbst in den delikaten, kleinteiligen Keramikarbeiten, die er Mitte der 1880er Jahre anfertigte, zeigt sich dieser Synkretismus.

So sehen wir auf der einen Seite die gediegene Formsprache und Handwerkskunst des Jugendstils, in dessen Grenzen sich Gauguin hier bewegt. Auf der anderen Seite brechen aber immer wieder Anlehnungen vorkolumbischer Tonfiguren durch. Diese lernte Gauguin bereits in seiner Kindheit bei dem mütterlichen Teil der Familie in Peru kennen. Dieses Dasein als Kulturwanderer, das Gauguin gewissermaßen schon in die Wiege gelegt wurde, erreichte mit seinen Reisen nach Tahiti ab 1891 seinen Höhepunkt. 

Hier hoffte Gauguin die Natürlickeit und Reinheit im Menschen abseits der europäischen Zivilisation zu finden. Nicht nur aus heutiger Sicht waren Gauguins Auswanderungspläne naiv: Die „glücklichen Bewohner eines unbeachteten Paradieses in Ozeanien kennen vom Leben nichts anderes als seine Süße“, schrieb er 1890 an einen Malerfreund. „Für sie heißt Leben Singen und Lieben.“ Natürlich konnte er nur enttäuscht werden. „Einen so langen Weg zurückgelegt zu haben, um nun dies anzutreffen, gerade das, wovor ich geflohen war! Der Traum, der mich nach Tahiti führte, wurde durch die Gegenwart grausam Lügen gestraft.“ Tief hatte sich der französische Staat bereits mit der Zange aus Kolonialbeamten und Missionaren in die Gesellschaft eingegraben.

Eine Fehde mit der Kolonialverwaltung

Was Gauguin in seinen Werken festzuhalten suchte, war also eine Welt, die schon längst im Schwinden war. Hier beginnt der ideologische Teil der Ausstellung, dem die Werke Gauguins lediglich als Staffage dienen. Denn im Zeitalter der „Wokeness“ kann ein Künstler nicht einfach ausgestellt, er muß „überführt“ werden. In diesem Fall wird uns Gauguin, der Kolonialist und Sexist, präsentiert. Die Einheimischen dienen lediglich als exotische Projektionsfläche für einen Weißen, behaupten die ideologisch aufgeladenen Texte der Ausstellung.

Tatsächlich? Gauguin, todkrank und verarmt, hatte eine Fehde mit der Kolonialverwaltung zugunsten Einheimischer geführt. Das finden auch die Aussteller seltsam. „Es erscheint widersprüchlich, daß Gauguin die Position eines privilegierten Europäers einnahm, und gleichzeitig die Rolle des Rebellen spielte.“ Ausstellungstexte als belehrende Bewacher gefährlicher Kunst, das wird schnell komisch. Beispielsweise wurde Gauguin nachgewiesen, in Bildtiteln „häufig grammatikalische und orthographische“ Fehler gemacht zu haben.

Da wir schon dabei sind, Gauguin hat auch häufig „Fehler“ in der Perspektive gemacht. Eigentlich sogar immer. Und so farbenfroh wie auf Gauguins Farbtafel ging es in Tahiti nun wirklich nicht zu. Vielleicht eine Anregung für künftige Forscher, deren Texte gleichfalls niemand beachten würde, wenn sie nicht gerade neben einem Gauguin hängen würden. Was dessen angeblichen „Imperialismus“ betrifft, so genügt ein Blick auf die beiden Doppelporträts junger Mädchen oder das Frauenporträt mit Blume im Haar. 

Gauguins Vorstellung vom Menschsein hat nichts mit Kolonialismus oder Sexismus zu tun. Nicht hier ist Herrschsucht zusammen mit Borniertheit und kulturellem Stumpfsinn zu suchen, die den „Imperialismus“ ausmachen. Nicht Gauguin, wohl aber seine „woken“ Überführer lassen sich in dieser Traditionslinie paßgenau einfügen.

Die Ausstellung „Paul Gauguin – Why Are You Angry?“ ist bis zum 10. Juli 2022 in der Alten Nationalgalerie, Museumsinsel Berlin, Bodestraße 1–3, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog kostet im Museum 28 Euro.

 https://gauguininberlin.de