© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Die Revolution ohne Verklärung
Hilaire Bellocs andere Analyse von 1789 in neuer Präsentation
Werner Olles

Hilaire Belloc, 1870 in La Celle-Saint-Cloud nahe Paris geboren, irischer Abstammung, Anhänger der Ideen von Charles Maurras, die dann durch den Filter seiner eigenen Schriften tiefen Einfluß auf die gebildeten Schichten des englischen Katholizismus ausübten, enger Freund und Mitarbeiter von Gilbert Keith Chesterton auf dem Gebiet der katholischen Apologetik, Autor von über 150 Büchern, darunter von feinfühliger Zartheit, Lebensfreude und Ironie beseelte lyrische Gedichte und pointierte Epigramme, die zum bleibenden Schatz der englischen Literatur gehören. 

Zu den bekanntesten Werken zählt seine vierbändige „History of England“ (1925–1931) und natürlich „The Path to Rome“ (1902) („Der Weg nach Rom. Eine Pilgerreise durch Europa“), in deutscher Übersetzung erstmals 2021 erschienen. „Die Französische Revolution. Wendepunkt der Geschichte“ zählt zu den weniger bekannten Werken des Historikers. Er seziert hier ihre Ursprünge, beschreibt den Verlauf der Revolution, die für ihre blutigen Exzesse und schließlich für den Völkermord ab Frühjahr 1793 an Hunderttausenden royalistischer Bauern und ihren Familien in der Vendée berüchtigt ist. 

Auf den ersten Blick erstaunt Bellocs Analyse der Französischen Revolution. Der strenggläubige Katholik und monarchistische Reaktionär, der gemeinsam mit Chesterton die ökonomische Philosophie des Distributismus, einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus entwickelte, kommt zu dem Resümee, daß der christliche Glaube grundsätzlich mit der politischen Theorie der Französischen Revolution vereinbar gewesen sei. Erst die revolutionären Ereignisse, durch die die Revolution selbst den Charakter eines Glaubensbekenntnisses angenommen habe, führte zu den Massakern.

Belloc skizziert die Charaktere der führenden Protagonisten, angefangen beim Theoretiker Rousseau über Mirabeau und La Fayette bis zu den Anführern der Revolution Danton, Carnot, Marat und Robespierre und deren Einfluß auf das Revolutionsgeschehen. Intensiv widmet er sich den militärischen Aspekten und deren Bedeutung für die allgemeine Situation, während ein eigenes Kapitel sich mit dem Zustand des katholischen Frankreichs der vorrevolutionären Zeit befaßt. Scharf kritisiert er die liberale und antikatholische Sicht der Reformation und Neuzeit, in der weite Teile des Klerus vom Glauben abgefallen waren und die enge Verbindung zwischen der katholischen Hierarchie und der politischen Struktur des Staates zu Apostasien und Staatsgläubigkeit führte und letztlich das Ansehen des katholischen Dogmas und der katholischen Moral im Kontext des Umbruchs von 1789 zum Einsturz brachten.

Hilaire Belloc: Die Französische Revolution. Wendepunkt der Geschichte. Renovamen Verlag, Bad Schmiedeberg 2022, broschiert, 250 Seiten, 16 Euro