© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Ländersache: Niedersachsen
Alles im Fluß
Christian Vollradt

Der erste Rammstoß saß – und nun soll alles weitere ganz schnell gehen. Bald steht, besser schwimmt dann ein Terminal an der Nordseeküste bei Wilhelmshaven, an dem riesige Tankschiffe ihre wertvolle Fracht löschen können. Noch im kommenden Winter würde dann auf minus 162 Grad Celsius gekühltes und dadurch verflüssigtes Gas, sogenanntes Liquefied Natural Gas (LNG), Deutschlands Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen reduzieren. 

Dafür werden insgesamt 149 weitere Stahlpfähle mit einer Länge von 50 Metern in den Meeresboden gerammt. Und unmittelbar an dieser geplanten Anlegestelle unterzeichneten Bundeswirtschaftsmininistet Robert Habeck (Grüne) und Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) eine Absichtserklärung zum Ausbau der LNG-Infrastruktur. Die Stadt am Jadebusen soll die erste Drehscheibe werden, neudeutsch ein Energyhub. Weitere LNG-Terminals sind an der Elbe, etwa in Stade, sowie im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel geplant.

Von Wilhelmshaven aus, wo das LNG wieder gasförmig wird und sein Volumen vervielfacht, soll das Gas dann per Leitung etwa 20 Kilometer nach Südosten gehen. Dort, in der Nähe des großen Gasspeichers im Salzstock Etzel, wird es dann in das bestehende deutsche Gasleitungsnetz eingebunden. Laut den Planungen sollen anfangs bis zu zehn Milliarden Kubikmeter Gas jährlich in den Süden und Osten Deutschlands transportiert werden. Im Stahlwerk der Salzgitter AG wird bereits der erste Stahl für die Röhren geschmolzen.

Habeck, der den Baubeginn vor der niedersächsischen Küste an Bord eines Schiffes verfolgte, zeigte sich begeistert. „Wir haben eine gute Chance, das zu schaffen, was eigentlich in Deutschland unmöglich ist: innerhalb von etwa zehn Monaten ein LNG-Terminal zu errichten und es anzuschließen an die deutsche Gasversorgung“. Nicht so begeistert sind die Umweltverbände. Die Deutsche Umwelthilfe kritisierte das beschleunigte Genehmigungsverfahren und verlangte einen Baustopp, weil das Terminal Schweinswale gefährden und ein Unterwasser-Biotop unwiederbringlich zerstören könne. Zudem sei das Rechtsstaatlichkeitsprinzip verletzt, da Naturschutzverbände bisher nicht in die Planungen eingebunden wurden. Habeck bezeichnete angedrohte Klagen als „falsch“.

Auch sein niedersächsischer Kollege Bernd Althusmann (CDU) betont, das Vorhaben stehe „unter großem Zeitdruck“. Zudem könne Niedersachsen „diese gesamtstaatliche Aufgabe mit nationaler Tragweite nicht allein bewältigen“. Laut Althusmann werden sich die Kosten für die aktuellen Baumaßnahmen auf rund 40 Millionen Euro belaufen, „hinzu kommen weitere fünf Millionen Euro für die Planung“, heißt es in einer Stellungnahme des Ministers. Der hofft, daß sich der Bund mit einem höheren Beitrag beteiligt. „Wir müssen Gas geben, um Gas zu bekommen“, wortspielte Niedersachsens Wirtschaftsminister Althusmann jüngst, als er die Eilbedürftigkeit des Vorhabens betonte. Doch wenn russisches durch flüssiges Gas ersetzt werden soll, muß erst einmal das Land werden, was das Gas ist: flüssig.