© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Zerstörte grüne Träume
Sri Lanka: Die Insel wollte die erste „Biorepublik“ der Welt werden – jetzt ist sie pleite
Lukas Largo

Die Demontranten, die sich am Uhrturm der Kleinstadt Tangalle sammeln, rufen „Go home, Gota“. Gemeint ist Gotabaya Rajapaksa, seit 2019 Staatspräsident der „Träne Indiens“. Es liegt etwas in der Luft, davon zeugt nicht nur die immer größer werdende Menschentraube. Am anderen Ende der Hauptstraße bauen Soldaten einen Sperrzaun auf, um den Zustrom zumindest von einer Seite aus zu bremsen. Davor bauen sich die Ordnungshüter wie eine zusätzliche Wand auf, als wüßten sie, daß sich der Protest wohl kaum von einer mobilen Absperrung aufhalten läßt. Das hat die landesweite 36stündige Ausgangssperre, mit der Sri Lankas Regierung dem Aufruhr anfänglich begegnen wollte, schließlich auch nicht vermocht. Stattdessen hat sie die Proteste befeuert und von der De-facto-Hauptstadt Colombo in die Provinz der sozialistischen Republik getragen.

Durchaus mit Erfolg: erst entließ Premierminister Mahinda Rajapaksa, der Bruder des Präsidenten, Anfang April fast alle seiner Minister. Dann trat er Anfang dieser Woche selbst zurück. Wie lange sich Gota als zentrales Feindbild der Demonstranten noch im Amt festhalten kann, scheint nur eine Frage der Zeit. Daß die neuerlich verhängte Ausgangssperre ihn retten kann, ist schwer vorstellbar.

Das frühere Ceylon wird zum Spielball der Großmächte

In Tangalle müßte es eigentlich „Come home, Gota“ heißen. Der Süden Sri Lankas ist die Machtbasis des Rajapaksa-Clans. Zwar sind es bis nach Colombo 200 Kilometer. Doch die Familie hat vorgesorgt, so daß die Heimreise nicht allzu lange dauern dürfte. Mit dem Southern Express Highway führt nicht nur eine von nur zwei Autobahnen auf der ganzen Insel in die Südprovinz, sondern auch die Coastal Line. Bislang lag der Endhalt der 1895 von den Briten fertiggestellten Eisenbahn im Verwaltungszentrum Matara. Seit 2019 hält der Zug kurz vor Tangalle, perspektivisch soll die gesamte Südküste einschließlich des Tiefwasserhafens Hambantota angefahren werden. Wenn man so will, fährt die srilankische Staatsbahn dann bis nach China.

Sri Lankas größter Hafen wurde 2017 für 99 Jahre an die Volksrepublik verpachtet, nachdem die überschuldete Insel ihre Kredite nicht mehr bedienen konnte. Seitdem ist der Hafen ein Paradebeispiel für Chinas Wirtschaftskolonialismus in der Region. Entlang der „Neuen Seidenstraße“ (offiziell „Belt and Road Initiative“) bündelt das Reich der Mitte einen ganzen Strauß von Infrastrukturprojekten auf dem See- und Schienenweg. Können die Entwicklungsländer die vermeintlich großzügigen Kredite nicht bedienen, greift die Volksrepublik nach den Sicherheiten –  in diesem Falle einem geopolitischen Fuß in der Tür. Bereits ein Jahr zuvor hatte sich nur 18 Kilometer nördlich des Hafens eine weitere Großmacht eingenistet. Um den chinesischen Finanziers zuvorzukommen, pachtete die staatliche Airports Authority of India 70 Prozent des Flughafens Mattala Rajapaksa für die nächsten vierzig Jahre.

Der „leerste internationale Flughafen der Welt“ ist nicht nur dem Namen nach mit dem Rajapaksa-Clan verbunden. Unter der Präsidentschaft von Mahinda geplant, sollte der neue Flughafen offiziell den Flughafen Bandaranaike nördlich von Colombo entlasten. Tatsächlich stellte das Prestigeprojekt zwar ein Konjunkturprogramm für die Heimatregion der Rajapaksas dar, konnte die hochgesteckten Erwartungen aber nie erfüllen. Die meisten Airlines flogen weiterhin die Hauptstadt an, die wenigen Pioniere, die sich an den neuen Flughafen wagten, beklagten sich bald über Vogelschlag durch die Nähe zu drei Nationalparks. 2018 verließ mit FlyDubai die letzte internationale Airline den „weißen Elefanten“, wie die Bauruine genannt wird.

So fährt der Bus, der Tangalle gerade noch verlassen konnte, bevor sich dort die Situation rund um die Proteste zuspitzt, über eine vierspurige Autobahn am Flughafen vorbei. Staugefahr besteht hier nicht: die Fahrbahn ist frei von Verkehr. Erst kurz vor der nächsten Stadt bremst der Bus ab. Die Autobahn ist einer Landstraße gewichen, die durch eine weitere Demonstration belegt wird. Vier Soldaten stehen einer Menge von mehreren Dutzend Regierungsgegnern gegenüber.

Die Bewaffnung der vier Sicherheitskräfte scheint die Demonstrationen allerdings kaum einzuschüchtern. Selbstbewußt treten sie der Staatsmacht gegenüber, konfrontieren sie aus nächster Nähe mit für den ausländischen Betrachter unverständlichen Parolen. Der Bus bahnt sich langsam seinen Weg durch die Traube; die Passagiere bleiben unbeeindruckt vom Geschehen auf der Straße. Selbst das Abfeuern von Gummigeschossen weckt keine größere Aufregung. Die Proteste sind zum Alltag geworden in Sri Lanka, und die politische Krise äußert sich längst nicht nur auf Demonstrationen.

Viel auffälliger sind die Schlangen vor nahezu jeder Tankstelle im Land. Kilometerweit drängeln sich Autos, Motorräder und „Tuktuk“-Dreiräder vor den Zapfsäulen; bis zu einem Verbot Mitte April standen die Menschen selbst zu Fuß mit Kanistern an. Schlagzeilen macht Ende März der Hitzetod dreier Männer beim stundenlangen Warten auf ihr Benzin. Für Recht und Ordnung bei der Zuteilung und Rationierung sorgen eigens abgestellte Soldaten.Wo kein Benzin mehr aus den Schläuchen kommt, tun es Eisenketten vor verwaisten Tankstellen. Der vorgeschobene Grund auch hier: der Krieg in der Ukraine. Doch das Problem reicht tiefer. Denn Sri Lanka fehlen die Währungsreserven, um sich auf den internationalen Märkten mit Öl und Gas einzudecken. Ihren Anteil daran tragen die Überschuldung durch Großprojekte sowie die grassierende Korruption des Familienclans. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International liegt der Inselstaat auf Platz 102, Tendenz fallend. Als die Rajapaksa-Brüder alle ihre Minister entließen, mußten sich auch drei weitere Familienangehörige einen neuen Job suchen – darunter der Sohn und ein weiterer Bruder des Premiers.

Am 12. April meldete die Insel ihre Zahlungsunfähigkeit an

Doch der Hauptgrund für den Einbruch der Währungsreserven ist die Tatsache, daß Sri Lanka neuerdings nicht nur Rohstoffe, sondern auch Lebensmittel im Ausland einkaufen muß. Im Mai 2021 haben die Rajapaksas die Insel zur ersten Bio-Republik der Welt erklärt und von einem Tag auf den anderen jeden Einsatz von chemischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln verboten. Doch es fehlte sowohl an organischem Dünger als auch Erfahrung im Bioanbau. Die Folge: Mißernten auf einer Insel, die sich bis dato dank zwei Monsunzeiten nahezu ganzjährig autark ernähren konnte. Daran konnte auch die Tatsache nichts mehr ändern, daß die Regierung das Vorhaben bereits im November wieder beerdigte. Am 12. April meldete die Insel schließlich Zahlungsunfähigkeit an. 

Nun mangelt es nicht nur an Sprit für das Tuktuk, sondern auch am Gas zum Kochen und am Milchpulver. Täglich stundenlange Stromausfälle machen jede wirtschaftliche Aktivität zum Luxus derer, die sich noch rechtzeitig ein Notstromaggregat besorgen konnten. „Es ist schlimmer als im Bürgerkrieg“, sagt eine Hotelierin und spricht damit einen Satz aus, den man in diesen Tagen häufig hört. „Da hatte man nur Pech, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort war und eine Bombe explodierte“, raunt sie über den erst 2009 beendeten Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen. „Heute sind wir in Sri Lanka alle zur falschen Zeit am falschen Ort.“

Foto. Protest gegen Machthaber Gotabaya Rajapaksa in der Kleinstadt Tangalle: „Go home, Gota“