© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Die US-Zentralbank hat ihren Leitzins auf 0,75 bis 1,0 Prozent erhöht
Zu zögerliche Zinswende
Thorsten Polleit

In den USA kletterte die Inflation auf 8,5 Prozent, im Euroraum waren es im April 7,5 Prozent. Die US-Zentralbank hat endlich reagiert: Am 4. Mai hob die Fed ihren Leitzins auf 0,75 bis 1,0 Prozent an, weitere Zinserhöhungen wurden in Aussicht gestellt. Das ist auch bitter nötig. Der US-Realzins – also der Nominalzins nach Abzug der Inflation – verharrt tief im Negativbereich. Die Kaufkraft des Dollars und der in ihm ausgewiesenen Schuldpapiere schmilzt weiter. Nicht weniger dramatisch ist es im Euroraum. Die EZB hat sich bislang entschieden gegen Zinserhöhungen gestemmt. Nun aber scheint etwas in Bewegung gekommen zu sein: Ein kleiner Zinsschritt im Juli ist wahrscheinlich geworden.

Doch werden die Zentralbanken die hohe Inflation verringern können? Die Chancen stehen leider nicht allzu gut. Der politisch diktierte Corona-Lockdown hat die Knappheit in den Gütermärkten verstärkt. Hinzu kommt die „grüne Politik“, die Energie drastisch verteuert. Zudem heben die Folgen des Ukraine-Krieges ebenfalls die Güterpreise an. Daß aus diesem „negativen Preisschock“ jedoch Inflation erwächst – also ein dauerhaftes Ansteigen aller Güterpreise auf breiter Front –, liegt allerdings an der enormen Geldmengenvermehrung durch die Zentralbanken. So hat die Fed die Dollar-Geldmenge M2 seit Ende 2019 bis heute um 43 Prozent erhöht, die EZB die Geldmenge M3 um 21 Prozent. Dieser „Geldmengenüberhang“ trifft jetzt auf den negativen Preisschock und setzt einen Inflationsprozeß in Gang. Der Inflationsdruck, der „noch in der Pipeline“ steckt“, ist zinspolitisch kaum mehr zu entschärfen. Die Aussicht, daß die Inflation in den kommenden Jahren auf die gewohnte Zweiprozentmarke zurückkehrt, ist daher denkbar schlecht. Bestenfalls ist zu hoffen, daß die Zentralbanken die Zinsen so stark anheben, daß das Kredit- und Geldmengenwachstum merklich abnimmt und so in der ferneren Zukunft die Inflation absinken läßt.

Doch ist das ein realistisches Szenario? Inflation ist keine Naturkatastrophe, sie ist menschengemacht. Ohne das Ausweiten der Geldmenge kann sie nicht entstehen. Inflation ist daher entweder das unbeabsichtigte Ergebnis von geldpolitischen Fehlern oder das beabsichtige Resultat von regierungspolitischen Machenschaften. Letztere haben eine besonders überzeugende Erklärungskraft. Es ist kein Geheimnis, daß die Inflation überschuldeten Staaten in die Hände spielt. Inflation entwertet die reale Schuldenlast des Staates, wehrt den Bankrott ab. Die staatseigene Zentralbank wird, vor die Wahl gestellt, den Staat zahlungsunfähig werden zu lassen oder die Inflation in die Höhe zu treiben, sich absehbar gegen ersteres und für zweiteres entscheiden.

Vor diesem Hintergrund sollte man sich als Anleger nicht an die Unschuldsvermutung klammern und auf ihrer Grundlage die künftige Geldpolitik und Inflationsentwicklung abschätzen. Vielmehr deutet schon jetzt die zu zögerliche Zinswende, die die großen Zentralbanken vollziehen, an, daß gegen die Inflation nicht entschieden genug vorgegangen wird, daß die notwendigen Zinshöhen ausbleiben, so daß die Inflation in den kommenden Jahren viel höher ausfallen wird, als es den Bürgern und Unternehmern lieb sein kann. Zu befürchten ist, daß die Inflation von den Zentralbanken erzeugt wurde, um zu bleiben.






Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirtschaftler und Präsident des Mises-Instituts.