© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Es geht jetzt ans Eingemachte
Rußland-Sanktionen: Der EU bleiben nur noch wenige Möglichkeiten zur Verschärfung
Albrecht Rothacher

Beim sechsten Sanktionspaket der EU geht es nicht mehr um Jachten und Oligarchen-Villen, die Auslandskonten der Freundinnen von Wladimir Putin und Außenminister Sergei Lawrow, um Krimsekt, Kaviar und sibirische Rohdiamanten. Es geht nach dem Import-Bann gegen russische Steinkohle (JF 16/22) nun ans Eingemachte: ein Embargo gegen russisches Erdöl, das mit Jahreseinnahmen von 88 Milliarden Euro gut ein Drittel des russischen Staatshaushaltes ausmacht. Das ist für den Kreml wichtiger als das Erdgas, dessen Exporterlöse eher der Subventionierung des russischen Binnenverbrauchs dient, als daß es Putins Kriegskasse füllt.

Rohölimporte aus Rußland sollen binnen sechs Monaten beendet, raffinierte Produkte (Benzin, Kerosin, Heizöl) sollen bis Jahresende verbannt werden. Ausnahmen bis Ende 2023 soll es für Ungarn, die Slowakei und Tschechei geben, die als Binnenländer alle von der Druschba-Pipeline abhängen. Deren Raffinerien sind auf die Verarbeitung von „Urals Oil“ spezialisiert, ebenso wie die PCK-Raffinerie in Schwedt an der Oder (JF 19/22). An der hängt die Heizöl- und die Treibstoffversorgung von Brandenburg und Berlin sowie des Haupstadtflughafens BER.

Nachhaltige Zerrüttung der russischen Wirtschaft?

Das 1964 eröffnete Erdölverarbeitungswerk (EVW) wurde 1970 in Petrolchemisches Kombinat (PCK) umbenannt und ab 1977 vom japanischen Toyo-Konzern modernisiert. Heute verarbeitet die Raffinerie zwölf Prozent des deutschen Ölbedarfes (JF 19/22), aber sie ist im Mehrheitsbesitz der staatlichen Rosneft. Chef des Aufsichtsrates ist Altkanzler Gerhard Schröder mit einer angeblichen Jahresgage von sechs Millionen Euro. Eigentlich müßte eine Verstaatlichung – ebenso für die im Besitz von Gazprom befindlichen gut geleerten Notfall-Gasspeicher – in die Wege geleitet werden und PCK auf andere Ölsorten umgerüstet werden. 

Auch sollen EU-Tankschiffe kein russisches Erdöl mehr transportieren dürfen, um dem Kreml den Zugang zu lukrativen Ersatzmärkten im Rest der Welt – China und Indien bieten sich an – zu erschweren. Doch dagegen laufen griechische Reeder mit ihren Tankerflotten und Geschäftsinteressen Sturm. Und nach elf Wochen Krieg muß man ernüchtert feststellen, daß fünf EU-Sanktionspakete weder die Kampfhandlungen beendet noch Putin gestürzt haben.

Das russische Militär, seine Waffen und Munition wurden von vergangenen Öleinahmen finanziert, nicht von aktuellen oder künftigen. Deklariertes Ziel ist es auch nicht mehr, einen Waffenstillstand oder gar Rückzug der russischen Truppen zu erzwingen, sondern laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die in der Ruinierung der Bundeswehr als CDU-Verteidigungsministerin einige Erfahrung mitbringt, die nachhaltige Zerrüttung der russischen Wirtschaft. Das soll künftige Angriffskriege, eine Wiederaufrüstung und weitere imperiale Ambitionen Rußlands erschweren.

Tatsächlich dürften die EU-Sanktionen die Weltmarktpreise weiter in die Höhe treiben. Die Regime in Katar, dem Iran, Nigeria, Kasachstan, Aserbeidschan, dem Kongo, Angola und Saudi-Arabien werden sich freuen. Auch Rußland wird schnell Ersatzabnehmer finden, auch wenn der notwendige Tankertransport teurer kommt als per Pipeline. Auch die USA sind als Nettoexporteur bei Rohstoff- und Energieexporten ein großer Kriegsgewinner. Für den europäischen Verbraucher dagegen wird die Zeche wesentlich kostspieliger ausfallen.

Schon jetzt ist jede Tankfüllung von 50 Liter um 35 Euro teurer geworden. Die zunehmende Euro-Schwäche – ein Dollar für einen Euro wird bald kommen; einst waren es 1,50 Dollar für den Euro – verteuert die Importpreise für Rohöl: Das ist ein zusätzlicher, höchst entbehrlicher Inflationsbeschleuniger in Richtung doppelstelliger Geldentwertung, der die Bevölkerung weiter verarmen läßt. Zu D-Mark-Zeiten verlor hingegen in der Regel der Dollar an Wert.

Nicht ökonomische Drohungen, sondern gezielte Waffenlieferungen

Bezog die EU bislang gut ein Viertel ihres Rohöls aus Rußland, so ist die Abhängigkeit vom Putin-Gas mit 36 Prozent, das auch für die Stromerzeugung als „Backup“ für die  wankelmütigen erneuerbaren Energien unabdingbar ist, viel höher. Putin hat Polen und Bulgarien, die nicht mit Rubel zahlen wollten, den Gashahn abgedreht. Durch den Verlauf der Pipelines ist die Abhängigkeit in Osteuropa, Deutschland, Österreich, Finnland und Italien besonders hoch. Ein Ausfall der Gasversorgung würde nicht nur die Transporte und den Verkehr verteuern, sondern alle energieintensiven Fertigungen von Düngemitteln, dem Zement bis zum Stahl, den Mikrochips und den Pkws verunmöglichen.

Der drohende Wirtschaftseinbruch bei gleichzeitig galoppierender Inflation sei eigentlich „nicht vorstellbar“, so die meisten Ökonomen. Ein paar mutige Optimisten glauben an sechs Prozent Wirtschaftseinbruch. Aber gibt es eine Alternative zu russischem Erdgas? Die Pipelines Nordstream 1 und 2 dienten auch der deutschen Energiewende, die das Wall Street Journal die „dümmste Energiepolitik der Welt“ genannt hat. Die USA verkaufen gerne ihr teures Flüssigerdgas (LNG), das sie durch das von den Grünen verteufelte Fracking gewinnen, bislang lieber nach Ostasien. LNG wird auch aus Algerien, Katar und Schwarzafrika nach Spanien, Italien und an die französische Westküste geliefert. Nur gibt es von dort keine Gasleitungen nach Mitteleuropa.

Nun will Wirtschaftsminister Robert Habeck schleunigst ein schwimmendes LNG-Terminal vor Wilhelmshaven errichten lassen. Die Pläne schlummerten seit langem unerledigt in seinen Amtsstuben. Doch schon erheben sich Proteste. Der Abmahnverein Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht die Existenz des Schweinswals gefährdet und will den Bau durch Klagen verhindern. Ohnehin gibt es den begründeten Verdacht, es seien verschiedene Umwelt-Lobbys, die sich in der EU gegen AKWs, das Fracking und den Kohle-Ausstieg stark machten, auch von russischem Geld mitfinanziert worden.

Die Sanktionswaffe der EU scheint ausgereizt. Sie mag Putin und seine Kreml-Kamarilla anfangs unliebsam überrascht haben, sie hat den russischen Angriffskrieg jedoch nicht eingebremst und keinem einzigen Ukrainer das Leben gerettet. Was zählt, ist nicht die fortgesetzte Drohung mit wirtschaftlichem Harakiri, sondern sind gezielte Waffen- und Munitionslieferungen. 

EU-Sanktionen gegen Rußland: ec.europa.eu