© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Es fehlt öfter an Wahrhaftigkeit
Der Politologe Konrad Löw beklagt erneut unbelegte Kollektivschuldvorwürfe
Felix Dirsch

Von den öffentlichen Aktivitäten des Politikwissenschaftlers Konrad Löws ist sein Engagement für eine gerechte Bewertung der Vorfahren im Dritten Reich besonders hervorzuheben. Anhand akribischer Recherchen, auf der Basis vieler zeitgenössischer Quellen, ist es dem mittlerweile 91jährigen Emiritus gelungen, den wabernden Kollektivschuldvorwurf als haltlos zu entlarven.

Unzählige Dokumente, nicht zuletzt von jüdischen Zeitgenossen, belegen, wie sehr „das Volk“ seinerzeit als Stifter von „Trost“ fungierte. So hat es der Dichter und Journalist Jochen Klepper kurz nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 in seinem Tagebuch notiert. Dabei hatte der wegen seiner jüdischen Frau drangsalierte und aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossene Klepper allzu schmerzliche NS-Erfahrungen. Sein Eindruck von mangelnder Unterstützung für das Regime durch die Bevölkerung mag nicht überall gleich gewesen sein, er war aber verbreiteter, als viele heute denken.

Löws jüngste Schrift, die an frühere Publikationen zu dieser Thematik anschließt, ist durchaus persönlich gehalten. Nach vielen Jahren der Beschäftigung mit dem Verhalten der Bevölkerungsmehrheit im Nationalsozialismus weiß er, welcher eisige Wind jenen entgegenschlägt, die sich gegen die „Tätervolk“-Diffamierung wenden. Öfter mußte er selbst Nachteile in Kauf nehmen. Eine Zeitschrift, die einen seiner Beiträge zu dieser Problematik veröffentlichte, wurde nachträglich sogar makuliert, die Auslieferung noch nicht versandter Exemplare gestoppt. Man kann am Beispiel dieses für eine freie Gesellschaft unglaublichen Vorganges studieren, wie moderne Schriftenverbrennung funktioniert!

Der unmittelbare Anlaß für die aktuelle Veröffentlichung ist die Bundestagsrede der ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, gehalten am 27. Januar 2021. Sie bezeichnete sich vor den Abgeordneten als „stolze Deutsche“. Ob man dieses Bekenntnis im Sinne einer Revision jener üblichen, pauschalen Verurteilungen aller damals lebenden Deutschen werten kann, wie es der Text auf dem Umschlag des Buches insinuiert, soll dahingestellt bleiben. Zu einer gerechteren Beurteilung in toto scheint Knobloch nicht bereit zu sein, obwohl sie selbst in der NS-Zeit bei fränkischen Bauern Unterschlupf gefunden und überlebt hat. Diese Familie hatte das Leben ihrer Mitglieder aufs Spiel gesetzt, um das verfolgte Kind zu retten. Ein solcher Mut verdient mehr Lob, als es die letzten noch lebenden Zeitzeugen in der Regel zugestehen wollen.

Konrad Löw: Stolz ein Deutscher zu sein? Das verräterische Schweigen der Widerkläger und die Zivilcourage. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2022, 104 Seiten, 16,80 Euro