© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Schutz unter falscher Flagge
Dresdner Zoologen bilanzieren die ökologischen Schäden von Aufforstungen im Regenwald
Christoph Keller

Welche Auswirkungen hat die Nutzung tropischer Regenwälder für die darin lebenden Wirbeltiergemeinschaften? Ausschließlich negative, wird wohl jeder antworten, der die mediale Daueranklage gegen die Kettensägen-Massaker im Regenwald auch nur flüchtig verfolgt hat. Denn jeder kann sich vorstellen, daß großflächige Abholzungen den Lebensraum von Tieren zerstören und die dortige Artenvielfalt von Flora und Fauna dramatisch reduzieren.

Schon weit schwerer als diese direkten Auswirkungen sind allerdings die negativen Folgen von Maßnahmen zu erkennen, die eigentlich getroffen werden, um die verursachten Schäden auszugleichen. Und doch belegen zwei Studien eines Forschungsteams um den Tropenökologen Raffael Ernst, daß selbst nachhaltige Holzeinschlagsysteme und Wiederaufforstungen unter dem Gütesiegel des Klimaschutzes für die Biodiversität von Wäldern „dramatische“ Veränderungen zum Schlechteren nach sich ziehen können (Senckenberg. Natur-Forschung-Museum, 1-3/22).

Jährlich verschwinden sieben bis acht Millionen Hektar Wald

Die Zoologen des Dresdner Museums für Tierkunde gingen bei ihren Untersuchungen im Atlantischen Küstenregenwald Südbrasiliens und im größten noch existierenden Regenwaldgebiet Westafrikas, dem Taï-Nationalpark im Südwesten der Elfenbeinküste, von der irritierenden Tatsache aus, daß seit Jahrzehnten Programme laufen, die sich zum Ziel gesetzt haben, degradierte Landflächen aufzuforsten, ohne daß es gelungen wäre, den globalen Entwaldungsprozeß zu stoppen.

Jährlich verschwinden sieben bis acht Millionen Hektar Wald, der größte Teil davon in den Tropen und Subtropen. Dort vollziehe sich nach Einschätzung Ernsts, Sektionsleiter Herpetologie der Naturhistorischen Sammlungen des Senckenberg-Instituts, eine „globale Krise“ in Gestalt des sechsten Massenaussterbens der Erdgeschichte. Doch anders als in der geologischen Vergangenheit sei es diesmal menschengemacht. Der jüngste Bericht des Bonner Weltbiodiversitätsrats (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services/IPBES) prognostiziere den drohenden Verlust von geschätzt einer Million Arten.

Insoweit sei es für die Umsetzung „neuer Nachhaltigkeitsstrategien im Anthropozän schon fünf Minuten nach zwölf“. Sichere Kandidaten für den Aussterbe-Etat seien iele Bewohner unterschiedlichster Waldökosysteme wie der prächtige Bunttukan, „ausgesprochene Waldspezialisten“ wie der Weißflügel-Laubtyrann oder der Rostbauch-Ameisenfänger, und ebenso unzählige Baumfroscharten.

Gerade Amphibien reagieren extrem empfindlich auf Umweltveränderungen. Wie die Langzeit-Untersuchungen der Senckenberger an Frosch-Populationen im Taï-Nationalpark zeigen, ist ihr Regenerationspotential geringer als angenommen. Während sich der Wald durch Aufforstung insgesamt erholte, wich die Zusammensetzung der Froscharten 40 Jahre nach der Abholzung immer noch stark vom ursprünglichen Zustand ab. Was darin begründet liege, daß große strukturgebende Bäume selbst nach so langer Zeit noch fehlen.

Die Froschgemeinschaften folgen also den natürlichen und im Vergleich mit den Neuanpflanzungen viel langsameren Regenerationsprozessen des Waldes. Selten überschreiten auch bei nachhaltigem selektivem Holzeinschlag Erntezyklen 20 bis 30 Jahre. Sie sind daher bedeutend kürzer als der Lebenszyklus eines tropischen Baumriesen. Vermeintlich „nachhaltige“ Nutzungskonzepte liefen daher in Westafrika oft ins Leere.

Noch auffälliger sei der Etikettenschwindel im brasilianischen Küstenregenwald. Um den zu erhalten, habe die Bundesregierung in Brasília 2009 einen Atlantic Forest Restoration Pact ins Leben gerufen. Mit diesem Programm beteiligt sich die südamerikanische Agrobusiness-Großmacht, das ewige „Schwellenland“ mit inzwischen 214 Millionen Einwohnern, am sogenannten, von der Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature/IUCN) und der Bundesregierung initiierten „Bonn Challenge“.

Invasion gebietsfremder Arten bevorzugt in den Plantagenwäldern

Diese Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 insgesamt 350 Millionen Hektar degradierte und entwaldete Landfläche aufzuforsten, um mit dieser Wiederherstellung grüner Kohlenstoffsenken einen zentralen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Soweit Brasilien daran mitwirke, bedeute dies aber nicht etwa die Wiederanpflanzung nativer Gehölze zur Wiederherstellung eines natürlichen, primären Regenwaldes. Sondern es würden in der Mehrzahl der Projekte stattdessen oft lukrative „Plantagenwälder“ angelegt.

In Brasilien wie in anderen „wiederaufforstenden“ Teilen der Welt favorisiert man dabei schnellwachsende Gehölze wie etwa Eukalyptus. Am Beispiel einer Dresdner Modellregion des Küstenregenwaldes habe die Biologin Paula Eveline Ribeiro D’Anunciação (Universidade Federal de Lavras/UFLA; Biological Conservation, Vol. 257/21) nachgewiesen, wie schnell diese Neuanpflanzungen zu kritischen Umweltveränderungen, zu funktionalen und taxonomischen Neuzusammensetzungen von Amphibien-, Vogel- und Mistkäfergemeinschaften führen.

Die unter dem offiziellen Signum des Klimaschutzes und der Minimierung von Entwaldung vorangetriebene Aufforstung mit Eukalyptus reduziere tatsächlich die biologische Vielfalt in diesem einzigartigen Ökosystem. „Statt des beabsichtigten Schutzes lokaler Artenvielfalt wird durch diese Aufforstungsprojekte ein massiver Prozeß des Wandels angestoßen.“ Der münde zwar nicht direkt in das Verschwinden einzelner Arten, lasse aber völlig neue Artengemeinschaften entstehen und begünstige die Invasion gebietsfremder Arten wie des sich bevorzugt in Plantagenwäldern ausbreitenden Amerikanischen Ochsenfroschs.

Welchen Einfluß die im Zuge eines fragwürdigen „Klimaschutzes“ sich bildenden neuen Artengemeinschaften auf die Funktion des Ökosystems haben, welche Rolle sie in zukünftigen Naturschutzbemühungen spielen werden, sei gegenwärtig noch gar nicht abzuschätzen und müsse daher Gegenstand weitergehender Forschungen sein.

Atlantic Forest Restoration Pact: www.bonnchallenge.org

Museum für Tierkunde – Herpetologie: senckenberg.de

Foto: Eukalyptus-Plantage im Amazonas-Regenwald des Bundesstaats Amapá/Brasilien: „Massiver Prozeß des Wandels angestoßen“