© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Ein kleines Stück Wilder Westen
Rodeo-Veranstaltungen sind fester Bestandteil im amerikanischen Sport
Eric Steinberg

Unter den Schenkeln des Reiters vibriert jeder einzelne Muskel des gehörnten 1.000-Kilo-Kolosses. Mit Cowboyhut auf dem Kopf wartet er darauf, daß sich das Tor öffnet und der Kampf mit dem Bullen beginnt. Wie viele Sekunden er sich auf dem Rücken des Tieres halten kann, weiß er noch nicht. Klar ist nur: Rodeo-Reiten ist kein Sport wie jeder andere. Wer sich dennoch überwindet, kann in den Vereinigten Staaten zum gefeierten Star aufsteigen. 

Dort finden jährlich Hunderte Rodeos statt, die allesamt fest im amerikanischen Unterhaltungsalltag integriert sind. Das „World’s Oldest Continous Rodeo“ fand bereits 1884 statt und wird auch heute noch jeden August ausgetragen. Die größten Veranstaltungen, die vor allem in den Südstaaten des Landes viele Anhänger finden, werden sogar im Fernsehen übertragen. Denn: Der Ritt auf dem Rücken der Tiere ist professionalisiert. Der Sport ist in verschiedenen Verbänden organisiert, der größte von ihnen ist die Professional Rodeo Cowboys Association (PCRA), die bereits 1936 gegründet wurde. Die Teilnahme an den offiziellen Verbandsveranstaltungen verspricht neben Sponsoring-Verträgen vor allem hohe Preisgelder. 

Mindestens acht Sekunden auf dem Rücken der Tiere halten

Die besten Reiter werden zu Millionären. Aktueller Weltranglistenerster im Bullenreiten ist der 22jährige Stetson Wright. Bisher verdiente er in seiner Karriere knapp 1,45 Millionen Dollar in verschiedenen Disziplinen. Allein dieses Jahr gewann der Amerikaner über 200.000 Dollar Preisgeld. Besonders lukrativ sind Großveranstaltungen wie das „The American Rodeo“, das jährlich im Frühjahr im AT&T-Stadion in Arlington nahe Dallas stattfindet. Insgesamt gibt es dort 2,35 Millionen Dollar zu gewinnen, und auch beim Rahmenprogramm wird nicht gespart. In diesem Jahr treten die Country-Musik-Weltstars Tim McGraw und Faith Hill in der eigentlichen American-Football- Spielstätte auf. Es geht allerdings noch größer: Das „Houston Livestock Show and Rodeo“ lockt jedes Jahr zwei Millionen Besucher an 20 Tagen an. Die Unterstützung solcher großen Rodeos ist auch von Unternehmensseite nicht verpönt: Firmen wie Monster Energy oder Wrangler Jeans spülen schon seit Jahrzehnten Geld in die Branche. 

Dabei ist der Sport alles andere als ungefährlich. In manchen Disziplinen gehören Verletzungen wie Knochenbrüche zur Tagesordnung, auch lebensgefährliche Verletzungen sind möglich. Erst 2021 kam ein 22jähriger Brasilianer beim Bullenreiten ums Leben. Während er abgeworfen wurde, verfing er sich mit einem Sporen im Riemen, der an der Unterseite des Tieres angebracht wird. Das trampelte ihn daraufhin zu Tode. Risikobehaftet sind vor allem das Bullenreiten und das Reiten wilder Pferde, mit- und ohne Sattel. Mindestens acht Sekunden müssen sich die Teilnehmer auf dem Rücken der Tiere halten, festhalten darf sich der Mutige lediglich an einem Strick oder dem Flankengurt. Die freie Hand muß in der Luft gehalten werden und darf das Tier nicht berühren. Erst wenn die Mindestzeit erreicht wird, verteilen die Richter Punkte. Diese setzen sich aus Reitstil und Performance sowie der Wildheit des Tieres zusammen. Allerdings ist längst nicht jede der Rodeo-Disziplinen ein großes Gesundheitsrisiko. Statt Durchhaltevermögen werden bei Westernreitwettkämpfen wie dem Tonnenrennen, bei dem eine bestimmte Strecke nachgeritten werden muß, vor allem reiterische Fähigkeiten und Geschick abverlangt. 

Um den Sport halten sich aus Tierschutzsicht harte Gerüchte. Bullen, die mit Elektroschocks aggressiver gemacht werden oder Pferde, die durch das Einquetschen der Hoden zum Buckeln gebracht werden, gehören im professionellen Rodeo-Sport allerdings ins Reich der Phantasie. Vielmehr ist das Buckeln der Tiere ein Instinkt, der zusätzlich trainiert wird. Die Pferde lernen: Es hat gewonnen, wenn es den Reiter vom Rücken befördert. Auch der angebrachte Flankengurt verletzt die Tiere nicht. Er sorgt dafür, daß sich das Tier nicht vollkommen streckt und versucht, seinen möglichen Bezwinger durch eine erhöhte Geschwindigkeit abzuwerfen.

In Deutschland gibt es mittlerweile keine öffentlichen, professionellen Rodeos mehr. Die meisten Bundesländer verbieten Disziplinen wie Bullenreiten oder Reiten mit und ohne Sattel. Auch Sporen dürfen nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg seit 2010 nicht mehr eingesetzt werden. Gleiches gilt für andere Geräte, die den Tieren Schmerzen zufügen könnten. Für die Tierschutzorganisation Peta sind „Rodeos manipulierte Darstellungen der menschlichen Dominanz über Tiere. Was im 19. Jahrhundert als Geschicklichkeitswettbewerb unter den Cowboys begann, ist heute zu einer Show geworden, die von Profitsucht und Ignoranz der Veranstalter im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Rücken der Tiere ausgetragen wird.“ 

Ähnliche Entwicklungen sind in den Vereinigten Staaten in den nächsten Jahren auszuschließen. Die Veranstaltungen werden auch in naher Zukunft von dem Willen mutiger Männer zehren, selbst den wildesten Hengst zu reiten. Erhalten bleibt dabei vor allem eines: ein spannnendes kleines Stück Wilder Westen. 

Foto: American Rodeo in Arlington (Dallas): Kaique Pacheco siegt und gewinnt den 2,1-Millionen-Scheck