© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Ländersache: Baden-Württemberg
Warum so hügelig?
Christian Vollradt

Tübingen ist berühmt. Nicht nur für seinen bundesweit Schlagzeilen machenden Oberbürgermeister Boris Palmer (noch Grüne), nicht nur für seine pittoreske Stadtansicht am Neckar samt Hölderlin-Turm und gemütlich dahinziehenden Stocherkähnen. Vor allem hat „der Musenstädte Zier“ eine Universität, die wohl zu den traditionsreichsten und renommiertesten in Deutschland gehört. 

Seit über 250 Jahren heißt sie „Eberhard-Karls-Universität“. Benannt hatte sie Herzog Karl Eugen von Württemberg 1769 in Erinnerung an seinen Vorfahren Graf Eberhard, der die Hohe Schule am Fuße der Schwäbischen Alb 1477 gründete. Doch dieser Name könnte ebenfalls bald Geschichte sein. Noch in diesem Sommersemester wolle der Senat darüber entscheiden, ob die Universität umbenannt werden soll oder nicht, kündigte Rektor Bernd Engler an. Hintergrund ist ein soeben veröffentlichtes Gutachten einer im vergangenen Jahr einberufenen Historikerkommission. Der Namensstreit freilich ist nicht neu. Im Gefolge der 68er-Studentenbewegung forderten einige fortschrittliche Geister, die Universität nach dem dort lehrenden und bis zu seinem Tod 1977 in Tübingen lebenden neomarxistischen Philosphen Ernst Bloch umzubenennen. In der aktuellen Debatte geht es jedoch um die Person des Gründers, Graf Eberhard, Beiname „im Barte“, dem Antisemitismus sowie eine despotische Regierungsweise vorgeworfen wird.

Das 25seitige Expertengutachten führt aus historischen Quellen vor allem zwei Äußerungen des Grafen an, die „von den weitverbreiteten antijüdischen Strömungen seiner Zeit beeinflußt“ gewesen seien. In einer gebietet Eberhard der Stadt Tübingen, „das sie kein juden, ouch sust keinen offen wucherer“ in ihren Mauern dulden solle. Das Fazit der Historikerkommission unter Leitung der Direktion des Tübinger Instituts für Geschichtliche Landeskunde, Sigrid Hirbodian: „Eberhard war kein ‘Antisemit’, aber er teilte offensichtlich mit der Mehrheit der kirchlichen und weltlichen Elite seiner Zeit eine antijüdische Haltung, die sich in seinen politischen Entscheidungen widerspiegelt.“ Ein Votum für oder gegen eine Umbenennung verbindet das Gremium damit erklärtermaßen nicht. Solche Namensdebatten, heißt es im Gutachten, „stellen die betroffene Institution mitunter vor eine Zerreißprobe“. Bleibe es beim tradierten Namen, werde die Kritik wohl nicht verstummen. „Umgekehrt stößt eine Um-benennung potentiell diejenigen vor den Kopf, die sich mit der Universität unter ihrem bisherigen Namen identifizieren.“

Eine Entscheidung der Universität gegen die Tradition könnte Folgen für das gesamte „the Länd“ haben. Denn nach wie vor singt man bei mancher Hocketse beim Viertele das Lied vom reichsten Fürsten („Preisend mit viel schönen Reden“). Darin bekennt Eberhard „der mit dem Barte, Württembergs geliebter Herr“, sein Land sei zwar nicht reich. „Doch ein Kleinod hält’s verborgen: / Daß in Wäldern, noch so groß, / Ich mein Haupt kann kühnlich legen / Jedem Untertan in Schoß.“ Woraufhin die anderen Fürsten zugeben, der Graf sei damit der reichste von allen. Ob das diese Szene wiedergebende Denkmal im Stuttgarter Schloßgarten noch bleiben kann?