© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

An der Promillegrenze
„Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“: Verfassungsfeinde in Uniform sind eine Randerscheinung, die bald härter bekämpft wird
Christian Vollradt

Die Zahl von Rechtsextremisten in den Sicherheitsbehörden hat zugenommen. Wer die Öffentlichkeit aufschrecken will, kann dieses Resümee aus dem vergangene Woche vorgestellten Lagebericht des Verfassungsschutzes ziehen. Es ginge jedoch auch eine ganze Nummer kleiner: Bei 327 Bediensteten der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern wurden „tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung festgestellt“. So stehr es im gemeinsamen Kommuniqué von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang. 

Diese Zahl 327 ist dann in Beziehung zu setzen zur Anzahl des „Personalkörpers“ von Landespolizeien und Bundessicherheitsbehörden – einschließlich der Bundeswehr. Dabei kommt man auf eine Summe von etwa 642.900, also mehr als eine halbe Million Frauen und Männer. Natürlich könne dies nicht als Entwarnung gelten, betonten Faeser und Haldenwang. Denn Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden hätten in der Regel Zugang zu sensiblen Daten und oft auch zu Waffen. Das mache auch eine sehr kleine Minderheit zu einer gefährlichen. 

In 860 Fällen wurden laut dem Bericht Ermittlungen aufgenommen, 500 arbeits- und disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet. Mal ging es um politisch motivierte Beleidigung, mal um Chatgruppen, den Besuch rechtsextremer Veranstaltungen oder „Mitgliedschaften in, Unterstützung von oder Kontakte zu verfassungsschutzrelevanten Organisationen“. 

Keine Anhaltspunkte für rechtsextreme „Schattenarmee“ 

Daß die Zahl der Fälle im Vergleich zum 2020 vorgelegten ersten Lagebericht gestiegen ist, liege zum einen an der Aufnahme von Verrdächtigen aus dem „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Spektrum, zum anderen der Einbeziehung von Fällen aus der Bundeswehr. Außerdem, betonte Verfassungsschutz-Chef Haldenwang, habe man „das Dunkelfeld weiter aufhellen“ können. Auch habe „die gesteigerte Sensibilisierung für das Thema zu einer niedrigschwelligeren Aufnahme der Bearbeitung in den Sicherheitsbehörden“ geführt. Mit anderen Worten: Es wurde mehr angezeigt.  

Die Zahl derer, die am Ende eines Verfahrens tatsächlich aus dem Beamtenverhältnis entlassen oder – als Anwärter – nicht übernommen wurden, ist in den Bundsländern meist nur einstellig. 

Der Bericht umfaßt den Zeitraum von Juli 2018 bis Juni 2021. Daher sind Mitgliedschaften in der mittlerweile ganz offiziell vom Verfassungsschutz unter Rechtsextremismus-Verdacht beobachteten AfD nicht berücksichtigt, denn die Rechtslage ließ dies in dem Zeitraum noch nicht zu. Lediglich eine Zugehörigkeit zum (aufgelösten) „Flügel“ habe laut Haldenwang berücksichtigt werden können.

Die insbesondere von Abgeordneten der heutigen Ampel-Koalition in der vergangenen Legislaturperiode häufig verbreitete These, es gebe womöglich rechtsextreme „Netzwerke“ innerhalb der Sicherheitsbehörden, wies der oberste Verfassungsschützer zurück. Man habe keine Erkenntnisse darüber, daß sich Rechtsextremisten in verschiedenenen Sicherheitsbehörden miteinander vernetzen und beispielsweise gemeinsame Aktionen planen, betonte Haldenwang. Auch für Netzwerke innerhalb einer Behörde, eine seinerzeit häufig beschworene „rechtsextreme Schattenarmee“, gebe es keine Anhaltspunkte.

Faeser kündigte bei der Vorstellung des Lageberichts an, die Bundesregierung werde notfalls auch die „rechtlichen Instrumente nachschärfen“, um Extremisten schneller loszuwerden. „Einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes werde ich noch in diesem Jahr vorlegen. Wir werden Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernen.“ Zudem wolle sie mittels Schulungen zur besseren Erkennung von Rechtsextremisten die Prävention weiter stärken und ein besonderes Augenmerk auf die Personalauswahl legen.

Man prüfe zudem etwa, nach dem Vorbild Baden-Württembergs eine Beweislastumkehr einzuführen. In dem Fall müßte dann also der Beschuldigte seine Verfassungstreue beweisen – und nicht mehr umgekehrt der Dienstherr deren Fehlen.