© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Nicht die Frösche fragen
Paul Rosen

Deutschland hat das komplizierteste Steuerrecht der Welt. 80 Prozent der steuerrechtlichen Literatur auf diesem Planeten sollen in deutscher Sprache erschienen sein. Das komplizierte Steuerrecht lähmt die Wirtschaft und fördert die Verdrossenheit der Steuerzahler. Im Bundestag werden neue Steuergesetze, die alles noch weiter verkomplizieren, geradezu am Fließband produziert. Allein vergangene Woche standen das Energiesteuersenkungsgesetz und das Corona-Steuerhilfegesetz auf der Tagesordnung. 

Eine der Ursachen dafür findet man im Finanzausschuß. Unter seinen Mitgliedern häufen sich die Steuerberater. Und die dürften kaum daran interessiert sein, Steuererklärungen so zu vereinfachen, daß man sie – wie einst vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz vorgeschlagen – auf einem Bierdeckel abgeben könnte. Wenn alles kompliziert bleibt oder noch komplizierter wird, können Steuerberater gewiß sein, daß mehr Leute in die Kanzleien kommen, in denen guter Rat und Hilfe natürlich teuer sind.

Seitdem die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages geändert worden sind, werden diese Interessenkonflikte für die Öffentlichkeit sichtbar. So erklärte in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses zum Corona-Steuerhilfegesetz am 9. Mai CDU-Finanzsprecherin Antje Tillmann: „Zunächst möchte ich als Steuerberaterin meine Betroffenheit nach Paragraph 49 Abgeordnetengesetz zu Protokoll geben.“

Bei einer der nächsten Fragen begann der FDP-Abgeordnete Markus Herbrand mit der Bemerkung: „Und ich bin nach Paragraph 49 Abgeordnetengesetz Steuerberater.“ Kurz danach war von Fritz Güntzler (CDU) zu hören, er sei in der Kontinuität, anzeigen zu müssen, „daß ich nach Paragraph 49 Abgeordnetengesetz Interessenkonflikte haben könnte“.

Der von den Abgeordneten zitierte Paragraph 49 des Abgeordnetengesetzes besagt, daß Abgeordnete, die entgeltlich mit einem Gegenstand beschäftigt sind, der in einem Ausschuß des Bundestages zur Beratung ansteht, eine Interessenverknüpfung vor einer Wortmeldung offenlegen müssen. Berichterstatter, die die Beschlußempfehlung des Ausschusses für das Plenum zu kontrollieren und zu unterschreiben haben, werden bei konkreten Interessenverknüpfungen in der Beschlußempfehlung aufgeführt.

Im Finanzausschuß sind diese Interessenverknüpfungen recht häufig zu finden. Neben den Abgeordneten Tillmann, Güntzler und Herbrand finden sich Sebastian Brehm (CSU) und Olav Gutting (CDU) als Steuerberater unter den Mitgliedern. Bei der AfD gibt Klaus Stöber als Beruf Steuerberater an. Die Steuerberaterfraktion ist es auch, die in allen Debatten über Steuerthemen die erste Geige zu spielen pflegt.

Was gegen eine solche Ballung von „Interessenverknüpften“ in einem Ausschuß getan werden kann, wußte der frühere CSU-Landesgruppen-Vorsitzende Michael Glos stets sehr plastisch zu beschreiben: „Wer den Sumpf trockenlegen will darf nicht die Frösche fragen.“