© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Verschwendung der Woche
Unstimmig
Peter Freitag

Bei einer Wahl gibt der Wähler – und die Wählerin natürlich – seine Stimme ab. Und zwar für immer, zurück bekommt man sie nie. Deswegen ist der Begriff von den „Leihstimmen“ strenggenommen auch falsch. Zum Glück gibt’s bei der nächsten Wahl ja wieder eine neue, meist sogar zwei, in den Kommunen gern auch fünf, die man kumulieren (häufen) oder panaschieren (streuen) kann. Aber auch sie sind am Wahlabend weg. Von verschenkten Stimmen wird gern gesprochen. Mal, wenn die Wähler nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und zu Hause bleiben. Eigentlich hat der Nichtwähler – ja, natürlich auch die Nichtwählerin – seine Stimme nicht verschenkt, sondern im Gegensatz zum Wählenden gerade behalten. Eine behaltene, nicht abgegebene Stimme kann jedoch nicht für eine spätere Wahl aufgehoben werden. Eine weitere Form des – semantisch nicht ganz zutreffenden – Verschenkens einer Stimme ist es, sie jemandem zu geben, der gar nicht gewählt werden will. Obwohl er oder sie auf dem Wahlzettel steht. Meistens ist das jemand, der nicht gewählt werden wollen darf.  Klingt kompliziert? Kommt aber vor. Am vergangenen Sonntag etwa haben 8.759 Wähler in Köln ihre Erststimme der CDU-Kandidatin Ursula Heinen-Esser gegeben, geschenkt – oder was auch immer. Doch die ehemalige Umweltministerin Nordrhein-Westfalens stand auf dem Zettel, obwohl sie nach ihrem Rücktritt (Stichwort Mallorca-Affäre) versprochen hatte, nicht wieder in den Landtag einziehen zu wollen. Weil die Stimmzettel aber schon gedruckt und alle Fristen für die Kandidatur eines anderen verstrichen waren, blieb Heinen-Esser wählbar. 14,5 Prozent (Platz 3) der abgegebenen Erststimmen wurden demnach an eine „Phantomkandidatin“ verschenkt. Oder verschwendet? Gewonnen hat den Wahlkreis übrigens die Grüne Berivan Aymaz.