© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Still-gestanden
Verteidigung: Warum sich die zusätzlichen Milliarden für die Bundeswehr verzögern
Peter Möller

Was als verteidigungspolitischer Befreiungsschlag gedacht war, ist endgültig zur Hängepartie geworden. Am Montag verkündete SPD-Chef Lars Klingbeil, was in Berlin bereits seit Tagen erwartet worden war: In dieser Woche wird es im Bundestag keine Abstimmung über das von Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede am 27. Februar auf der Sondersitzung des Parlamentes nach dem Angriff Rußlands auf die Ukraine angekündigte 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr geben.

Als Begründung dafür, warum der ursprüngliche Zeitplan nun über den Haufen geworfen wurde, nannte Klingbeil die noch laufenden Gespräche mit der Union. Diese seien „sehr konstruktiv“, einen Termin für das Ende könne er aber noch nicht nennen. Der SPD-Vorsitzende sagt, er hoffe, „daß es bald ein Ergebnis gibt“.

In der SPD immer noch starke Widerstände 

Doch diesen Zweckoptimismus teilen nicht alle. Denn das Vorhaben der Ampel, mit Hilfe des Sondervermögens den Investitionsstau bei der Bundeswehr zumindest teilweise abzubauen und neben der dringend benötigten Munition moderne Waffensysteme zu beschaffen, um angesichts der neuen Bedrohungslage in Europa Einsatzfähigkeit der Truppe sicher-, wenn nicht gar überhaupt erst wiederherzustellen, hat seine Tücken.

Da die 100 Milliarden trotz der Schuldenbremse über Kredite beschafft werden sollen, wollen SPD, Grüne und FDP eigens das Grundgesetz ändern – auch um das Geld vor Begehrlichkeiten anderer Ressorts zu schützen. Um jedoch im Bundestag die erforderliche Zweidrittelmehrheit zusammen zu bringen, ist die Koalition auf die Union angewiesen. Schon unmittelbar nach der Scholz-Rede hatte Unions-Fraktionschef Friedrich Merz die grundsätzliche Bereitschaft von CDU und CSU erklärt, dem ambitionierten Vorhaben zuzustimmen – jedoch nur unter bestimmten Bedingungen. So besteht die Union darauf, daß das Geld allein für die Bundeswehr verwendet wird. In einem entsprechenden Antrag, den CDU/CSU in den Bundestag eingebracht haben, heißt es dementsprechend, daß die 100 Milliarden Euro der „Stärkung der Streitkräfte“ dienen sollten.

Das Kabinett dagegen hatte Mitte März einen Gesetzentwurf für das Sondervermögen beschlossen, der nicht ganz so eindeutig ist. Denn im Entwurf der Ampel heißt es, das Geld solle für die Stärkung der „Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ Deutschlands verwendet werden. Kritiker nicht nur aus der Union warnen davor, daß darunter dann beispielsweise auch Ausgaben für die Cybersicherheit oder Mittel zur Stärkung von Verbündeten fallen und am Ende also der Bundeswehr nicht die ganzen in Aussicht gestellten 100 Milliarden zur Verfügung stehen könnten.

Nicht zuletzt waren Bundeswehr-Planer bei einer eigenen Auflistung auf eine Summe von 102 Milliarden Euro gekommen, um die notwendigen, aber bis dahin haushälterisch nicht hinterlegten Beschaffungsprojekte der nächsten Jahre finanzieren zu können. Wenn Großprojekte wie Kampfflugzeuge, Transporthubschrauber oder Korvetten angeschafft werden, deren Lebensdauer in der Truppe einen wesentlich längeren Zeitraum umfaßt als die Zeit, in der das Sondervermögen „aufgebraucht“ wird, muß das Geld für ihren künftigen Unterhalt irgendwie in einem Haushalt eingeplant und beschlossen werden. 

Und noch ist auch den Fachpolitikern nicht klar erläutert worden, wie das Sondervermögen aufgeschlüsselt werden soll. Enthält es etwa analog zum für die Verteidigung zuständigen „Einzelplan 14“ des Bundeshaushalts einzelne Titel für die geplanten und zu finanzierenden Projekte?

Die Union zeigte sich daher Anfang der Woche skeptisch, daß es zeitnah zu einer Einigung kommen könnte. „Wir stehen nicht vor einem kurzfristigen Abschluß. Es ist ein internes Problem der Ampel-Koalition“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Unterhändler von CDU/CSU, Matthias Middelberg (CDU), dem Handelsblatt. Derzeit werde ein Termin für eine weitere Verhandlungsrunde in dieser Woche abgestimmt. Ursprünglich sollte das Thema an diesem Freitag im Bundestag debattiert werden. Pauschal einer Grundgesetzänderung zuzustimmen kommt den Oppositionsführern nicht in den Sinn, würden sie so doch ihren stärksten Trumpf aus der Hand geben.

Die Grünen ließen unterdessen erkennen, daß sie an Änderungen des Regierungsentwurfs kein großes Interesse haben: „Für mich ist der Beschluß des Kabinetts genau richtig“, sagte deren sicherheitspolitische Sprecherin, Sara Nanni, dem Handelsblatt. „Er ist sicherheitspolitisch auf der Höhe der Zeit.“ Vor allem an die eigene Partei dürfte die Versicherung von SPD-Chef Klingbeil gerichtet gewesen sein, daß soziale Projekte nicht unter den Milliardenvorhaben zur besseren Ausstattung der Bundeswehr leiden werden. Die Koalition habe wichtige sozialpolitische Vorhaben vereinbart, an denen auf „gar keinen Fall gerüttelt wird“, sagte Klingbeil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Das Bürgergeld und die Kindergrundsicherung werden kommen. Kein soziales Projekt wackelt.“ Denn nach wie vor gibt es in der SPD-Fraktion unter ihrem Vorsitzenden, Rolf Mützenich, starke Widerstände gegen das Vorhaben, die Bundeswehr finanziell besser auszustatten.

Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD im Bundestag, Rüdiger Lucassen, äußerte den Verdacht, der Bundesregierung komme die zeitliche Verzögerung der Abstimmung insgeheim ganz gelegen. Doch auch in seiner Fraktion gab es zu Wochenbeginn noch einiges an Klärungsbedarf. So hatten sich die Verteidigungspolitiker intern bereits darauf festgelegt, im Bundestag für das Sondervermögen – und somit auch für die Grundgesetzänderung – zu stimmen. 

Bei anderen in der AfD-Fraktion überwiegt jedoch die Kritik an der geplanten Verankerung des Sondervermögens im Grundgesetz als „haushaltspolitischem Schleichweg“. Zwar sei eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr richtig und wichtig, sie sollte aber über den regulären Bundeshaushalt erfolgen, forderte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Bernd Baumann, analog zur Linie der Haushaltspolitiker. Mit Blick darauf mahnen jedoch die Zustimmungs-Befürworter an, die Außenwirkung eines entsprechenden Beschlusses im Blick zu behalten. Es sei doch absehbar, daß bei einer Nichtzustimmung zum Sondervermögen nicht die Kritik der AfD an haushaltspolitischen Tricksereien gewürdigt werde, sondern daß Medien und der politische Gegner das Nein der Partei zu einer finanziellen Besserstellung der Bundeswehr in den Vordergund rücken würden. Das würde dann insbesondere in Kreisen von AfD-affinen Soldaten für Unverständnis sorgen. 

Foto: Nachschlag für die Truppe: Wie das geplante Sondervermögen zubereitet wird, ist auch Fachleuten noch nicht klar; Haben wohl noch Geprächs-bedarf: Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) reden im Bundestag miteinander