© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Grüße aus … Tunis
Gottgewolltes Schicksal
Marc Zoellner

Wer diese Briefmarke erwerben will,  muß ziemlich tief in die Sahara reisen: „Dreißig Jahre Amnesty International“ feiert die Tunesische Post auf ihrem Postwertzeichen, „dreißig Jahre Menschenrechte in Tunesien“. Selbst die Postfrau war verblüfft, diesen Schatz noch zu entdecken. Den Großteil des Drucks dürfte die tunesische Regierung bereits eingestampft haben. Immerhin stammt die Briefmarke aus dem Jahr 2018. Damals galt Tunesien noch als Vorzeigerepublik unter den islamischen Staaten Nordafrikas. Tunesiens wenn auch manchmal kränkelnde Demokratie mit immerhin freien Wahlen galt als krönender Abschluß des Arabischen Frühlings, der 2011 dort begann. Bis im vergangenen Sommer Präsident Kais Saied putschte. Ende März dieses Jahres löste Saied sogar das Parlament auf und ließ liberale wie islamistische Oppositionelle vom Geheimdienst verfolgen.

Aber auch hier im romantischen Medenine sterben uralte Kulturen unter dem Druck der Zivilisation.

Vor diesem mußte auch der Autor dieser Grüße antreten. Freundlich lächelnde Herren mit schwerer Bewaffnung wünschten das obligatorische „Friede sei mit dir“, um gleich im Anschluß zu fragen, was man hier eigentlich wolle. Der Bekundung, man sei lediglich Tourist, wurde aus gutem Grund kein Glauben geschenkt. „Hierher verirrt sich kein Ausländer“, urteilte der Schlapphut resolut, den Reisegast als ausländischen Spion verdächtigend. Nummernschilder wurden notiert, Dokumente peinlichst genau fotokopiert. Selbstverständlich auch der Coronapass. Für Ungeimpfte gelten in Tunesien sehr strenge Einschränkungen: Sie dürfen nicht arbeiten, keine öffentlichen Gebäude betreten, nicht Bus und Taxi fahren. 

Ab nach Medenine. Das Städtchen liegt einige Autostunden südwestlich der Touristenhochburg Djerba. Die Landschaft ist mediterran, mit angenehmem Klima. Gefühlt wachsen hier endlosen Reihen Millionen von Olivenbäumen. Dahinter erstrecken sich Gebirge und Sahara. Es lohnt ein Besuch der Höhlenstädte der Ureinwohner dieser Wüste, die sich hier in der Einöde vor fremden Eroberern und Missionaren versteckt hielten. Manche, wie die Bergfeste Chenini, sind tatsächlich noch bewohnt.

 Aber auch hier sterben uralte Kulturen unter dem Druck der Zivilisation. Bereits gestorben, allerdings schon vor hundert Millionen Jahren, waren jene Dinosaurier, deren versteinerte Knochen und handgroße Reißzähne auf einer Bergkuppe mitten in der Sahara aus dem Gestein ragten. Eine kleine Sensation für europäische Reisende – für die einheimischen Berber schlicht Ausdruck von Normalität und Vergänglichkeit. Einst werde das neue tunesische Regime diesem alten Drachen folgen, sagt der ortskundige Begleiter augenzwinkernd. Und was inzwischen sonst folge, nennt man in Arabien nicht grundlos Kismet, von Gott gewolltes Schicksal.