© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Der böse Wolf hat Kreide gefressen
Parlamentswahl in Australien: Premier Scott Morrison bangt um sein Lebenswerk
Jörg Sobolewski

Wahlkampfzeiten sind meist keine Zeit für Selbstkritik, doch der australische Premierminister Scott Morrison ist seit langem für seine eher unkonventionellen Ansprachen bekannt. Man kenne ihn „als Bulldozer“, er wisse, er „müsse manches an sich ändern“. Der große böse Wolf habe „Kreide gefressen“, witzelten einige Australier in den sozialen Netzwerken im Anschluß und verwiesen auf die eigentlichen Kernbotschaften des Amtsinhabers, an denen sich wenig geändert habe.

 Tatsächlich tritt „ScoMo“, wie ihn seine Landsleute nennen, für eine gewisse Kontinuität in den großen Fragen seiner Amtszeit ein. Statt auf die Bekämpfung des Klimawandels setzt Morrison auf Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze. Damit ist ihm zumindest eine Art Agenda-Setting gelungen, denn auch sein Herausforderer, der Kandidat der Arbeiterpartei Anthony Albanese, mußte auf Morrisons Themensetzung einschwenken. Das fiel dem Parteilinken schwerer als gedacht. 

Auf einer Pressekonferenz Anfang April konnte das langjährige Parlamentsmitglied Fragen der Reporter nach Arbeitslosenzahlen und Kreditzinsen im Land nicht beantworten. Eine schwere Bauchlandung gleich zu Beginn der heißen Phase, die dem studierten Volkswirt den Vorwurf von rechts einbrachte, Labour könne weder mit Geld umgehen, noch habe es ein Wirtschaftskonzept.

 Morrison fühlt sich thematisch in seinem Element und kündigte an, unter ihm werde der „Aufschwung weitergehen“. „Wir haben die Voraussetzungen und bewährte Pläne, um diese 1,3 Millionen neuen Arbeitsplätze zu schaffen“, erklärte Morrison. Ermöglicht werden soll diese Arbeitsmarktoffensive vor allem durch Steuererleichterungen „für Arbeitnehmer und kleine Unternehmen“, Investitionen in „Qualifikationen und Handwerk“ sowie den Ausbau der Unterstützung für „unseren lokalen Produktionssektor“. Australien sei „gut aus der Krise herausgekommen“ und stehe besser da als die meisten anderen G7-Länder“. 

Eine These, die auch der eher regierungkritische Guardian in seinem „Factcheck“ stehenlassen mußte. Australien stehe tatsächlich wirtschaftlich besser da als die G7-Partner. Und auch das Gesundheitssystem habe sich „nach der Covid-19-Epidemie über die zwei Jahre eher bewährt als das vergleichbarr Länder“, wie das Blatt zugeben mußte. 

Heftige Debatten um zunehmende Einflußnahme der Chinesen

Dennoch, in den Umfragewerten steht Morrisons Mitte-Rechts-Regierung, bestehehend aus den Regierungsparteien Liberal Party of Australia (LPA) und der National Party of Australia (NPA),  unverändert unter Druck. Die Australian Labor Party (ALP) hatte sie im Oktober 2021 von Platz eins verdrängt. Doch der schwache Auftritt des linken Spitzenkandidaten im Wahlkampf setzt nun auch die Werte der Partei unter Druck. Lediglich vier Prozent trennen die beiden großen Parteien noch voneinander: Die liberalkonservative LPA/NPA kommt auf 34, Labor auf 38 Prozent der Umfragewerte. In der auf die zwei größten Parteien zugespitzten Entscheidung ausschließlich zwischen Labour und LPA/NPA kommt das linke Lager immerhin noch auf einen deutlichen Vorsprung von neun Prozent. Im direkten Vergleich der beiden Kandidaten hingegen zeigt sich ein anderes Bild. Hier gibt eine Mehrheit der Australier dem Amtsinhaber den Vorszug. 

Wie aussagekräftig die Umfragen sind, ist jedoch eine weitere Kontroverse im Land. Bei der vergangenen Wahl 2019 konnte Morrison entgegen allen Vorhersagen der Demoskopen einen klaren Sieg erringen. Ein Schock, besonders für das Umfrage-institut Ipsos, dessen Umfragen vorher als äußerst zuverlässig galten. „Werden die Umfragen 2022 verläßlicher sein als 2019?“ fragt denn auch der Guardian und warnt vor einer vorschnellen Siegerstimmung des Erstplatzierten in den Umfragen. 

Denn Albanese hat noch ein weiteres Problem: Es heißt Xi Jinping. Der Aufstieg Chinas wird in Canberra mit Argwohn verfolgt. Bereits in der Vergangenheit kam es mehrfach zu diplomatischen Querelen mit der asiatischen Weltmacht. Australien sieht sich zwar klar im westlichen Lager, hat aber in den Städten an der Westküste eine große chinesische Minderheit. Politisch konnten in der Vergangenheit viele Australier mit chinesischen Wurzeln in Parlamenten und Ministerien Einfluß erringen. Dabei könnte es mitunter nicht ganz sauber zugegangen sein, seit langem kreisen Gerüchte um Korruption und ausländische Finanzspritzen für die Labor-Partei. 

Im Februar scheiterte eine Verschwörung pro-chinesischer Akteure in New South Wales: Ein kleiner Kreis hatte versucht, die Kandidaten der Labor-Liste zu bestechen. Ermittlungen des australischen Auslandsgeheimdienstes ASIO sorgten für ein frühes Ende des Vorhabens. Ein gefundenes Fressen für die Rechte, seit einigen Tagen sorgen fahrende Großflächen von „Advance Australia“, einem rechten Thinktank, in australischen Städten für Aufsehen, darauf abgebildet das chinesische Staatsoberhaupt mit einem Stimmzettel der Labor Party.

Foto: TV-Debatte zwischen Scott Morrison und Anthony Albanese (l.): In Umfragen liegen deren Parteien gleichauf