© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Schlechtes Beispiel kann Schule machen
Bundeswehr: Mängel bei Beschaffung und Einsatz mindern den realen Wert des neuen „Sondervermögens“ um die Hälfte
Dirk Meyer

Der Ukraine-Krieg hat ein lange bekanntes Versäumnis offenbart: die Gewährleistung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die „eine staatliche Kernaufgabe“ sei, wie die Bundesregierung erklärte. Doch diese Staatsaufgabe wurde über drei Jahrzehnte zugunsten des Sozialhaushaltes vernachlässigt – der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank von weit über zwei auf nur noch 1,4 Prozent. Und das wurde nicht nur vom früheren US-Präsidenten Donald Trump öffentlich kritisiert.

Im Wehretat wurden 2020 nur 45,1 Milliarden Euro eingeplant – für Arbeit und Soziales hingegen 155,2 Milliarden Euro. Die seit den neunziger Jahren genossene „Friedensdividende“ hat sich jetzt allerdings als Fehlspekulation herausgestellt. Daher soll nun ein „Sondervermögen Bundeswehr“ mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro für voraussichtlich fünf Jahre errichtet werden – allerdings abseits der 2011 eingeführten „Schuldenbremse“ für Bund und Länder.

Doch bereits das verkündete Ziel einer „Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ ist diskutabel. Was für Linke und Grüne zu eng ausgerichtet ist – in beiden werden sogar Ausgaben für Klimaschutz und Entwicklungshilfe im Sinne einer Konfliktvermeidung angestrebt –, ist für CDU/CSU und AfD viel zu weit gesprungen. Denn die jetzige Entwurfsformulierung ließe auch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine auf Kosten der Bundeswehr zu. Das aber würde das von Olaf Scholz verkündete Ziel einer „leistungsfähigen, hochmodernen und fortschrittlichen Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt“, kontakarieren. Deshalb will man hier eine Beschränkung auf „Streitkräfte“ durchsetzen.

Keine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht

Da die geplante Umgehung der Defizitregel eine Änderung des Artikels 87a Grundgesetz notwendig macht, ist die Ampel-Koalition auf Stimmen von CDU und CSU angewiesen, was hierzu einen Kompromiß erwarten läßt. Dabei stellt die Grundgesetzänderung mit der Umgehung der Schuldenbremse (Art. 115 GG) eine Verfassungsdurchbrechung dar, wie man sie in der Weimarer Republik mit ihren zahlreichen Notstandsgesetzen kannte – einfache Gesetze mit Zweidrittelmehrheit beschlossen, die quasi verfassungsgleich als Ausnahme neben der Reichsverfassung standen. Artikel 79 GG verbietet diese einfachgesetzlichen Umgehungen daher aus gutem Grund.

Mit der kommenden Grundgesetzänderung wird eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht jedoch ausgeschlossen. Im Gesetzentwurf heißt es: „Alternativen – Keine.“ Demgegenüber hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag mehrfach bekräftigt, die Schuldenregel einhalten zu wollen. Aber was wären mögliche Alternativen ohne zusätzliche Kredite? Haushaltsumschichtungen wären eine erste Finanzquelle. Die Möglichkeiten, Haushaltstitel zu kürzen und umzuschichten, dürften jedoch eher begrenzt sein – zumindest kurzfristig und in der angestrebten Größenordnung. Der Bundeshaushalt 2022 sieht bislang 483,9 Milliarden Euro vor – bei 139,9 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme.

Mittelfristig und bei entsprechendem politischen Durchsetzungswillen bieten allerdings allein die zahlreichen Subventionen in Höhe von insgesamt 206 Milliarden Euro (2020) bei einer zehnprozentigen Reduktion einen finanziellen Spielraum von etwa 20 Milliarden Euro jährlich. Selbstverständlich könnte man auch je nach ökonomischer Sinnhaftigkeit differenziert kürzen. Sollte dies nicht gelingen, bleiben schließlich Steuererhöhungen.

Da der Finanzbedarf für die Auf- bzw. Nachrüstung der Bundeswehr mittelfristig und erheblich ist, bietet sich – ähnlich dem Solidaritätszuschlag für die „Kosten der deutschen Einheit“ – eine zeitlich befristete Ergänzungsabgabe „Landesverteidigung“ zur Einkommen- und Körperschaftsteuer an. Auch diese würde zu jährlichen Mehreinnahmen von knapp 20 Milliarden Euro führen. Die Akzeptanz dürfte relativ hoch ausfallen, da es eine Quasi-Zweckbindung für einen überwiegend akzeptierten Mitteleinsatz gibt.

Ein grundsätzliches Problem des „Sondervermögens BW“ besteht in der mangelnden Vorsorge für Instandhaltung, Modernisierung und „Betriebsmittel“ (beispielsweise Munition), da hauptsächlich größere Rüstungsvorhaben finanziert werden sollen. Der Kauf des US-Tarnkappenjets F-35, der die vor mehr als 40 Jahren eingeführte Tornado-Flotte teilweise ersetzen soll (JF 13/22), wurde schon im März beschlossen. Wenn die neuen Flugzeuge, Panzer und Schiffe mit diesen Mitteln zwar beschafft werden können, bleibt dennoch die Finanzierung der Folgekosten ungelöst.

Deshalb wäre eine dauerhafte Aufstockung des Verteidigungsetats angezeigt, um das angestrebte Ziel einer „Ertüchtigung“ strukturell und dauerhaft angehen zu können. Insofern dürfte ein Zusatzbudget von jährlich 20 Milliarden Euro aus eingesparten Subventionen bzw. eines Soli Landesverteidigung zielführender sein als ein Sonderbudget von einmalig 100 Milliarden Euro. Es besteht sonst die große Gefahr, daß die Bundeswehr mit dem Sondervermögen und der veranschlagten Laufzeit von etwa fünf Jahren mittelfristig vor den gleichen Problemen stehen wird wie derzeit.

Keine grundlegende Strukturreform des Beschaffungswesens

Die Beschaffungsprozesse insbesondere bei Großgeräten ließen in der Vergangenheit erhebliche Ineffizienzen erkennen, die im Ergebnis nicht nur zu sehr komplexen und teuren Systemen, sondern auch zu teils erheblichen Kosten- und Zeitüberschreitungen entgegen den Planvorgaben führten. Langwierige Ausschreibungsverfahren bei mangelndem Wettbewerb, technologisch höchste Ansprüche bei zunehmender technischer Komplexität, nachträgliche Auftragsmodifikationen, unzureichende Rüstungskooperation mit internationalen Partnern und Neuentwicklungen statt Ikea-Prinzip: „aussuchen, bezahlen, mitnehmen“, wie es der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) nannte, sind nur einige Stichworte. Schließlich mangelt es an der Einsatzfähigkeit der militärischen Ausrüstung. Sie liegt – nach Angaben der Bundeswehr (2021) – im Durchschnitt aller 71 Hauptwaffensysteme bei 77 Prozent.

Diesen Normwert übertrafen 38 Hauptwaffensysteme, elf lagen unter 50 Prozent. Rechnet man – eher konservativ – die durchschnittlichen Effizienzverluste bei der Beschaffung von 25 Prozent und die der Einsatzdefizite von 23 Prozent zusammen, so reduziert sich der prognostizierte reale Wert des „Sondervermögens BW“ auf etwa 50 Milliarden Euro. Hinzu kommen Preissteigerungen der Rüstungsfirmen, denn die werden sich ihrer Marktmacht bewußt sein.

Um nicht jeden zweiten Euro für Rüstungsausgaben versickern zu lassen, sollte vor – oder notfalls parallel zu – dieser riesigen Beschaffungswelle eine grundlegende Strukturreform des Beschaffungs- und Einsatzwesens nachweislich durchgeführt werden. Schließlich sollten den negativen „Leuchtturm-Projekten“ zweier Marinetanker (Mehrkosten rund 250 Millionen Euro), den Transporthubschraubern NH90 TTH und NH90 Sea Lion (Einsatzbereitschaft bei nur etwa 19 Prozent) und dem Aushängeschild der Marine, dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ (Kostenanstieg der Generalüberholung von zehn auf 135 Millionen Euro), – das jetzt mit Getriebeschaden im Kieler Heimathafen liegt – keine weiteren folgen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

 Bericht Seite 6

Foto: US-Marine-Soldaten hinter Tarnkappenbomber F-35: Lieber Haushaltsumschichtungen und Subventionsabbau statt Neuverschuldung?