© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Der Griff nach der Staatsknete
Mindestlohn, explodierende Papierpreise und Energiekosten: Zeitungsverlage sehen sich in ihrer Existenz gefährdet
Paul Leonhard

Qualitätsjournalismus hat seinen Preis. Das wissen auch die Abonnenten von regionalen Tageszeitungen. Daß diese für sie immer teurer werden, sind sie gewohnt. Daß trotzdem in vielen Fällen die Qualität abnimmt, ist ein schleichender Prozeß, der von langjährigen treuen Lesern kaum bemerkt wird, der sich aber beispielsweise darin bemerkbar macht, daß sich kaum jüngere Menschen zu einem Abonnement durchringen können. Dabei wäre dies gerade für Besserverdienende ein sinnvolles Zeichen der Solidarität mit den Regionalzeitungen, die von ihren Herausgebern immer mehr ausgedünnt werden. Ohne Reporter vor Ort gibt es auch keine Berichterstattung aus Dörfern und Kleinstädten.

Wie ernst die Situation ist, zeigt die „Neuaufstellung“ der Zeitungsgruppe Stuttgart. Was den Lesern als engere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Titeln – unter anderem Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Böblinger Bote, Eßlinger Zeitung – sowie als „digitale Erfordernisse“ verkauft wird, bedeutet nach Einschätzung der Redakteure „eine Reduzierung des Regionalteils, insbesondere beim Lokalsport“. Der Lokalteil macht aber Regionalzeitungen lesens- und kaufenswert. Wenn genau dort gekürzt wird, sei das „wirtschaftlich riskant und ergibt aus unserer Sicht keinen Sinn“.

Der Vorgang in Stuttgart ist kein einmaliger, sondern typisch für eine Branche, die noch kein funktionierendes Geschäftsmodell in der digitaler werdenden Welt gefunden hat. Die gedruckten Auflagen sinken seit vielen Jahren kontinuierlich. Trotzdem spielt noch immer Print das Geld ein, ist Online kaum kostendeckend.

Der Ruf, das Modell Regionalzeitung in eine digitale Zukunft zu führen, ist zwar vom Nordkurier in Neubrandenburg bis zum Südkurier in Konstanz zu hören, aber offenbar schwer umsetzbar. Die treuen Leser scheuen die digitale Zeitung wie der Teufel das Weihwasser. Viele Zeitungen werben heute nicht mehr um Abonnenten für die Druckausgabe, sondern mit der Aufforderung: „Jetzt e-Paper lesen.“ Einige Verlage bieten Lesern sogar ein kostenloses Tablet an, wenn diese auf die Papierausgabe verzichten. Daß sechsmal wöchentlich und möglichst auch noch vor sechs Uhr morgens eine gedruckte Tageszeitung im Hausbriefkasten liegt, gilt als Auslaufmodell.

Und ist es auch. Denn die morgendliche Zustellung kann immer weniger garantiert werden – es fehlen die Zeitungsausträger. Das finden die Verleger einerseits schlecht, denn was nützt die ganze Herstellungskette, wenn das Endprodukt nicht zum Kunden findet? Andererseits ist es ein Fingerzeig: Der digitale Umsatzanteil muß wachsen. Je weniger Zeitungen gedruckt werden müssen, desto mehr Sach- und Lohnkosten können gespart werden. Gestiegener Mindestlohn, hohe Transportkosten und geradezu explodierte Papierpreise drücken die Rendite.

Papier ist derzeit das große Thema der Branche. Während der Pandemie, als die Zeitungen ihren Umfang verringerten und viele Werbebeilagen wegfielen, stellten zahlreiche Papierhersteller auf Kartonage um. Jetzt ist das Zeitungspapier knapp und die Hersteller können den Verlegern die „Preise diktieren“, wie Christoph Niemöller, der für Druck zuständige Mediaprint-Geschäftsführer (Kronen Zeitung, Kurier) beklagt: „Wir haben gar keine Chance mehr zu verhandeln, wir müssen die Preise so nehmen, wie sie sind.“ Und das ist kein Pappenstiel. Der Papierpreis hat sich innerhalb von zwölf Monaten mehr als verdoppelt, auf 945 Euro für die Tonne Standard-Zeitungsdruckpapier, und das österreichische Medienhaus verbraucht jährlich 60.000 Tonnen davon. Laut Branchenindex von Fastmarkets Foex sind die Preise für Altpapier in Deutschland seit Jahresbeginn um 78 Prozent gestiegen.

Umdenken, sparsam und verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen ist auch das Motto der NWZ-Mediengruppe (Nordwest-Zeitung, Emder Zeitung, Friesländer Bote). Deswegen werde das ebenfalls zu der Gruppe gehörende Wochenend-Journal nicht mehr gedruckt, sondern als „rein digitale Ausgabe veröffentlicht und im Internet zur Verfügung gestellt“, verkündet Chefredakteur Ulrich Schönborn.

Während sich die Zeitungsbranche von FAZ bis taz gerade bei Facebook verkauft – der Konzern lockt mit einer Milliarde Euro zur Kooperation –, drängen die Zeitschriftenverleger auf finanzielle Förderung durch den Staat. Diese soll ihnen helfen, den Sprung ins digitale Zeitalter zu schaffen und sich gegen die immer weiter ausufernden kostenlosen Online-Angebote der zwangsgebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medienanstalten zu behaupten. Es ist der zweite Anlauf, nachdem im Frühjahr 2021 eine fast schon sicher geglaubte Finanzspritze von erst 40 und dann 220 Millionen Euro knapp gescheitert war.

Die Merkel-Regierung wollte so die „Medienvielfalt“ erhalten und den Journalismus stärken sowie die „erforderliche digitale Transformation des Verlagswesens“ fördern. Zuvor hatten einige Verlage gedroht, die Auslieferung von gedruckten Tageszeitungen in dünn besiedelte ländliche Gegenden einzustellen.

Die Pläne scheiterten nicht ewa, weil die „Qualitätsjournalisten“ befürchteten, in einen Interessenkonflikt zu geraten und künftig nicht allein der Wahrheit verpflichtet zu sein, sondern auch den jeweils regierenden Parteien. Das Vorhaben scheiterte, weil ein grotesker Verteilungskampf zwischen den Verlagen einsetzte. Als Bundeswirtschaftsminister Altmaier schließlich eine Corona-Soforthilfe für Verlage vorschlug, verhinderten die haushaltpolitischen Sprecher der Fraktionen diese. Daraufhin teilte das Ministerium mit, man habe „nach intensiver Prüfung der verfassungs-, haushalts- und beihilferechtlichen Umstände und nach sorgfältiger Abwägung aller betroffenen Interessen entschieden, das Programm zur Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens nicht weiterzuverfolgen“.

Daraufhin herrschte wieder Einigkeit. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), der Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) und der Verband Deutscher Lokalzeitungen (VDL) zeigten sich übereinstimmend „geschockt“. Fast unbeachtet blieb dabei ein Satz, der in der Schweiz, wo es ebenfalls mal wieder um staatliche Medienförderung ging, gefallen war.

„Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, daß wir alle gut durch die Krise kommen“, hatte Marc Walder, Chef des Schweizer Ringier-Verlags, auf einer Online-Konferenz vorgegeben und deutsche Zeitungen wie Bild bezichtigt, mitverantwortlich für Gewalt bei Anti-Corona-Demonstrationen zu sein. Die Weisung an die Mitarbeiter des Verlags, in dem mit Blick die auflagenstärkste Schweizer Tageszeitung erscheint: Sie sollten „die Pandemie und deren Bekämpfung nicht grundsätzlich in Frage stellen“.

Hätten die Deutschen ein Recht zur Mitbestimmung wie die Eidgenossen, hätten sie wohl wie diese gestimmt. Das Gesetz zur Mediensubvention wurde abgelehnt. Gegen den Ausbau der Medienförderung – zusätzliche 150 Millionen Franken sollte es jährlich geben – hatte sich auch Weltwoche-Chef Roger Köppel ausgesprochen: „Es darf nicht sein, daß die Presse ihr unabhängiges Wächteramt verliert und sich – am Nasenring des Staates angebunden – einer bequemen Stallfütterung hingibt.“ Schon jetzt sei die Nähe zwischen Regierung und Journalismus viel zu groß.

Köppels Analyse der Medienmisere der Schweiz gilt auch für Deutschland: „Heute sind die Zeitungsspalten und Sendegefäße verpolitisiert und vermoralisiert. Sie wurden gekapert von Gutmenschen und Einpeitschern der Intoleranz, welche die Menschen permanent zum angeblich richtigen Denken erziehen wollen.“ Erfolgreiche Medien sollten aber weder belehren noch erziehen, sondern Lesern, Hörern und Zuschauern spannende Erlebnisse bieten, sie unterhalten und zum Denken anregen.

Liegt in anderen Ländern der Fokus auf Wissensaneignung oder Entspannung, fühlen sich deutsche Leser von der Zeitung in erster Linie inspiriert, hat eine YouGov-Studie im Auftrag der schwedischen Medien-Plattform Readly ergeben. Fast jeder zweite gab an, daß Zeitungslesen es ihm ermögliche, sich weiterzubilden und zu lernen. Befragt nach der Menge an journalistischen Inhalten, die konsumiert werden, gaben 32 Prozent an, daß sie gern mehr lesen würden. Aus Zeitgründen könnten sie dies aber nicht – oder weil ihnen das Budget für Printabos oder digitale Bezahlangebote fehle.

Die Bereitschaft, für journalistische Beiträge zu bezahlen, ist in Deutschland gering ausgeprägt. Lediglich jeder fünfte Nutzer redaktioneller Inhalte im Internet konsumiert kostenpflichtige Angebote, geht aus einer Befragung des Online-Vermarkterkreises (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft hervor. Immerhin sind junge Nutzer zwischen 16 und 29 Jahren mit 27 Prozent überdurchschnittlich vertreten.

Am häufigsten genutzt werden Abonnements kostenpflichtiger E-Paper und E-Magazine (vor allem von Personen ab 50 Jahren), gefolgt von kostenpflichtigen Zugängen zu Nachrichtenportalen oder Online-Services sowie Podcasts an dritter Stelle. Interessant für die nach neuen Geschäftsmodellen suchenden Verleger dürfte sein, unter welchen Bedingungen diejenigen als Nutzer zu gewinnen sind, die nicht für journalistische Beiträge bezahlen wollen: Immerhin 66 Prozent könnten sich eine Zustimmung zu Website-Cookies vorstellen, 54 Prozent eine verpflichtende Registrierung und damit zielgruppenbezogene Werbung.

Die Süddeutsche Zeitung scheint hier auf einem guten Weg zu sein. Während des Lockdowns hat sie erfolgreich für ihre digitale Transformation geworben und nach Angaben von Verlagschef Christian Wegner inzwischen mehr als 220.000 bezahlte Digital-Abos gewonnen. Bis 2030 will sich die SZ ausschließlich über Digital-Umsätze aus Abos und Werbung finanzieren.

Zwei der vier großen Schweizer Verlage, TX Group (Tages-Anzeiger Zürich) und Ringier, machen dagegen ihr Geld immer mehr mit Job-, Möbel- und Immobilienportalen, zu denen es dann noch Tageszeitungen als Prestigeobjekt gibt. In Deutschland, wo Gruner+Jahr-Zeitschriften wie Stern, Capital und Geo gerade an RTL gegangen sind, gilt weiterhin eine staatliche „Förderung periodischer Presse und damit auch der Zeitschriften für den Erhalt der Pressevielfalt unabdingbar“, so der Medienverband der freien Presse (MVFP).

Laut einer Branchenanalyse wären sonst bis 2024 bis zu 80 Prozent der konfessionellen Medien, bis zu 30 Prozent der Fachmedien-Titel sowie bis zu 20 Prozent der Publikumsmedien in Deutschland in ihrer Exisenz stark gefährdet. Derzeit sind nach Ansicht ihrer Verleger mehr als 2.000 von über 7.000 Zeitschriftentitel gefährdet oder stark gefährdet. Ein Lamentieren, das Roger Köppel so einordnet: „Bei den Verlegern und den Medienschaffenden ist der Griff nach dem Staatsgeld selbstverständlich beliebt, denn die meisten Journalisten sind schon links. Und die meisten Verleger sind angesichts der offenen staatlichen Geldschränke gerne bereit, es noch zu werden.“

Foto: Rollenoffsetdruckmaschine in einer Druckerei für die Produktion von Zeitungen und Zeitschriften: Erfolgreiche Medien sollten weder belehren noch erziehen