© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Biopolitik als Herrschaftsmittel
Eine Ironie der Geschichte
Thorsten Hinz

Mit der Begründung, seine Gesundheit zu schützen, ist der Bürger „jedes politischen Status entkleidet und vollständig auf das nackte Leben reduziert worden“ (Giorgio Agamben). Er soll nicht nur restriktive Regeln einhalten, sondern sogar medizinische Interventionen, die der Staat verordnet, am eigenen Körper zulassen. So verwirklicht sich unmittelbar, was Michel Foucault als „Biopolitik“ oder „Biomacht“ bezeichnete: „Die Mechanismen der Macht zielen auf den Körper, auf das Leben und seine Expansion, auf die Erhaltung, Ertüchtigung, Ermächtigung oder Nutzbarmachung der ganzen Art ab.“

Prophylaktische Impfungen gegen Tetanus oder Pocken, Hygiene- und Qualitätsvorschriften für Lebensmittel usw. stehen außer Frage. Die erpreßte Einspritzung von Vakzinen hingegen, deren Nebenwirkungen und Spätfolgen unbekannt sind oder systematisch unterschlagen werden – und zwar selbst bei Alterskohorten, die nach aller Voraussicht und Wahrscheinlichkeit keinen schweren Verlauf zu erwarten haben –, ist ein klarer „Übergriff der Biomacht“. Der kann bis ins Extrem gehen, „wenn Menschen technisch und politisch die Möglichkeit gegeben ist, nicht allein das Leben zu meistern, sondern es zu vermehren, Lebendiges herzustellen und Monströses und – nicht zuletzt – unkontrollierbare und universell zerstörerische Viren zu fabrizieren“ (Foucault).

Zu den biopolitischen Monstrositäten zählen die Doping-Manipulationen an jungen DDR-Sportlern, deren Körper vom Staat in Leibeigenschaft genommen und zu Kampfmaschinen moduliert wurden, damit sie bei internationalen Sportwettkämpfen zum Ruhme der Partei Siege errangen. Heute produziert ein schwedisches Start-up bereits Mikrochip-Implantate mit Covid-19-Impfdaten, die mit einem Smartphone gelesen werden können. Perspektivisch ließe sich über solche Chips nicht nur die totale Kontrolle herstellen, sondern auch ein systemkonformes – diszipliniertes – Denken und Verhalten generieren und steuern. Solche Aussichten nähren die Befürchtung, daß mit der Corona-Politik das Tor zur Genmanipulation am Menschen, zum Transhumanismus und zur Cyborgisierung – zur Verschmelzung von Mensch und Technik – aufgestoßen wird.

Zumindest scheint heute festzustehen, daß die Coronaviren durch Fahrlässigkeit aus einem chinesischen Labor entwichen sind. Nach einer kurzen Schockphase haben auch westliche Regierungen die Möglichkeiten, die sich daraus für ein autoritäres Durchregieren ergaben, erkannt und genutzt. Die Regierenden nämlich, so Foucault, „träumten vom Pestzustand, um die perfekten Disziplinen funktionieren zu lassen“.

Inzwischen können die Leitmedien sich nicht mehr gänzlich der Tatsache verschließen, daß der medizinische Nutzen der Lockdowns minimal war. Der Virologe Hendrik Streeck konstatierte schon im vergangenen Sommer in einem Zeitungsinterview, die Bundesnotbremse mit den Ausgangssperren habe wahrscheinlich „wenig dazu beigetragen, daß die Zahlen jetzt sinken. Die Gründe sind multifaktoriell. (...) Was unterschätzt wird, ist die Saisonalität der Coronaviren. (…) Im Winter ist man erkältet, im Sommer eher nicht. (...). Das Virus ist nicht komplett weg, aber es verbreitet sich auf einem niedrigeren Level.“

Groß war und ist hingegen ihr politischer Effekt, denn sie haben den totalitären Zugriff auf alle Bereiche der Gesellschaft ermöglicht. Die Biopolitik ist zu einem Herrschaftsmittel und die Impfung zum Siegel der individuellen Unterwerfung geworden. Die Gesellschaft ist sediert und abgelenkt von den brennenden Problemen und Konflikten, die politische Fehlentscheidungen oder sinistre Absichten herbeigeführt haben. Als da sind: die Finanzkrise, die Enteignung der Mittelschichten durch Inflation und die Geldpolitik der EZB; die Durchsetzung der europäischen Schuldenunion; die unkontrollierte Einwanderung und die Verteilungs-, Kultur- und Religionskonflikte in ihrem Gefolge; der Terrorismus, die Verwahrlosung des öffentlichen Raums, die Auswirkungen einer vernunftwidrigen Energiepolitik.

Um diese Themen einer ernsthaften Erörterung zu entziehen, eignet sich in einer Gesellschaft, für die das Leben sich im Innerweltlichen erschöpft und die keine transzendente Dimension mehr kennt, nichts besser, als eine vorgeblich lebensgefährliche Seuche zum Metathema zu erheben, vor dem alle anderen Fragen zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen. Die Setzung erfolgt nach totalitärem Rezept durch die Kombination aus Propaganda und exekutivem Zwang.

Gilles Deleuze hatte 1990 prognostiziert, „daß alte Mittel, die den früheren Souveränitätsgesellschaften entlehnt sind, (...) mit den nötigen Anpassungen“ wieder auf den Plan treten könnten. Tatsächlich gehen heute Kontrolle, Disziplinierung, Aus- und Einschließung ineinander über, die Disziplinar- und die Kontrollgesellschaft verschmelzen und geben ihr totalitäres Potential frei. Ironie der Geschichte: Was ein Foucault in maßloser Überzeichnung am bürgerlichen Staat kritisiert hatte, verwirklicht sich nun im Sieg seiner linken, wirtschaftsliberalen und transnationalen Feinde. Der zerstückelte Leviathan feiert als despotischer Behemoth seine Wiederauferstehung.

Die Übernahme der Leitung des Corona-Führungsstabs im Kanzleramt durch einen General der Bundeswehr, der berufsmäßig das Prinzip Befehl – Gehorsam praktiziert, ist als symbolpolitischer Akt zu verstehen, als Drohung mit dem jederzeit möglichen Ausnahmezustand. Durch scheinbar widersinnige Entscheidungen werden die Ohnmachtsgefühle der Bürger noch gesteigert. Während sie in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt waren, konnten Asylanten unabhängig von Impfstatus und Infektion die Grenzen nach Deutschland passieren. Was vordergründig als absurde, irrationale Konsequenz aus der deutschen Hypermoral erscheint, ist vom Standpunkt einer übernationalen Neuen Weltordnung jedoch ein zweckrationaler Vorgang: Die Hypermoral ist der kostenlose politische Hebel, um Deutschland zum Modell für die Transformation der westlichen Nationalstaaten – weg von der politischen Organisationsform des Staatsvolks, hin zur bloßen Verwaltungseinheit eines transnationalen „Big Government“ – zu machen. Überhaupt läßt die Corona-Politik sich nicht ausschließlich im nationalstaatlichen Rahmen begreifen – sie muß im Zusammenhang mit den international agierenden „Big Data“, „Big Media“, „Big Pharma“, „Big Money“, den großen Stiftungen, NGOs und Organisationen betrachtet werden.

Nationale und transnationale Institutionen arbeiten Hand in Hand, um alternative Informationsflüsse zu unterdrücken und gegenteilige Meinungs- und Willensbekundungen zu verhindern und abzuwehren. Der Verfassungsschutz erhebt die Pandemie-Maßnahmen gar in den Rang der Staatsräson, wenn er in seinem Jahresbericht 2020 auf Seite 48 und 49 die Anti-Corona-Proteste mit dem Rechtsextremismus kurzschließt und behauptet, vielen Kritikern gehe es nicht um eine sachliche Debatte, „sondern um die Delegitimierung staatlichen Handelns und demokratischer Institutionen“. Er macht sich damit eine Denkweise zu eigen, die bereits ihren Niederschlag in Paragraph 214 des DDR-Strafgesetzbuches fand, der die „Beeinträchtigung oder Mißachtung staatlicher Maßnahmen, Gesetze oder der öffentlichen Ordnung“ mit bis zu fünf Jahren Gefängnis unter Strafe stellte.

Die formal gültigen Verfassungsgarantien und staatlichen Institutionen bilden zum einen – wie bereits festgestellt (JF 8/22) – die Kulisse, die spanische Wand, hinter der sich ihre Abschaffung und Umcodierung vollzieht. Zweitens geht die Tendenz zum Doppelstaat. Die Institutionen werden genutzt, um die Willkür effizient umzusetzen. Der aufgeblähte, von einem Parteienblock beherrschte Bundestag mag weiter seinen pointenfreien Theaterdonner veranstalten – als Entscheidungsgremien wurde er von der Exekutiv-Runde aus Kanzler und Ministerpräsidenten ersetzt. Ein Parlamentarier, der bis zuletzt an führender Stelle die Regierungspolitik gestützt hatte, wurde an die Spitze des höchsten Gerichts katapultiert, das umgehend die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Regierungspolitik feststellte. Andererseits wurde ein Richter, der einzelne Corona-Maßnahmen aufhob, anschließend mit Hausdurchsuchungen bedacht. Die Würde des Menschen soll darin bestehen, seinen Körper als Profitquelle für die Pharmaindustrie zur Verfügung zu stellen, während Ärzte zu Vollziehern staatlicher Maßnahmen herabgewürdigt werden.

Auf dem Papier gilt die Wissenschaftsfreiheit. In der Praxis beugen heute selbst Naturwissenschaftler sich politischen Wünschbarkeiten, weil sie nur so Aussicht auf finanzielle Förderung, Publizität und Karriere haben. Besonders gravierend ist die Verschmelzung von Politik und Medien zum politisch-medialen Komplex. Bereits bei der Grenzöffnung 2015 haben Presse, Rundfunk und Fernsehen sich als reine Propaganda-Organe betätigt. Im Zuge der Pandemie sind sie zu Instrumenten der psychologischen Kriegsführung geworden. Sie agitieren im Sinne der Politiker, die sich ihrerseits erkenntlich zeigen: Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung 64 Millionen Euro allein für Corona-Anzeigen in regionalen und überregionalen Tageszeitungen ausgegeben; vom milliardenschweren Staatsfernsehen gar nicht zu reden.

Der Kampf richtet sich im Bedarfsfall auch gegen Dissidenten in den eigenen Reihen. Ein anschauliches Lehrstück waren die Domestizierung der Bild-Zeitung, die auf Distanz zur Corona-Politik gegangen war, und der erzwungene Kotau des Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlages. Bezeichnenderweise spielten Konkurrenzmedien aus Deutschland und Übersee sich dabei gegenseitig die Bälle zu.

Der politisch-mediale hat sich mittlerweile um den Digital-Komplex erweitert, denn wer im Kultur- und Medienbetrieb keinen Platz findet und hofft, sein Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit ersatzweise im Netz entfalten zu können, sieht sich postwendend von den global agierenden Monopolisten abgeschaltet – was im Effekt einer totalitären Gleichschaltung gleichkommt.

Nach all dem stellt sich die Frage, inwieweit der Demos als Bezugsgröße überhaupt noch Relevanz besitzt. Durch die Corona-Maßnahmen ist er zu einem von Angstreflexen erfüllten, panischen Haufen moduliert worden. Denunziationslust und sadistische Ausgrenzungsphantasien paaren sich mit Autoritätshörigkeit und Mitläufertum. Wahlen verkommen zum Akklamationsritual, weil erstens Parteien kaum noch Unterschiede aufweisen und weil zweitens das verwirrte Wahlvolk zu rationalen politischen Überlegungen, zur Abwägung seiner Interessen und zu perspektivischem Denken überhaupt nicht befähigt ist. In den Erst- und Zweitkläßlern, die auch heute noch auf dem Weg zur Schule scheu über ihre Masken blinzeln, kündigt sich vielleicht schon die neue Variante des disziplinierten, kontrollierten Homo Sovieticus an, der die äußeren Zwänge und Indoktrinationen verinnerlicht hat.

Zum Glück ist das nicht die ganze Wirklichkeit. Es gibt in Ost und West Gegenkräfte, die dezentral, ohne charismatische Anführer gegen die Etablierung des neuen Zwangssystems auf die Straße gingen. Von unvermeidlichen Ausnahmen abgesehen handelt es sich um grundsolide, gesetzestreue, steuerzahlende Bürger, die keiner Ideologie, sondern einem freiheitlichen Instinkt folgen. Und das in dem Wissen, neben dem politisch-medialen Komplex, der mit dem Protest gegen die Corona-Politik seine beherrschende Position in Frage gestellt sieht, im Zweifelsfall auch den Polizeiknüppel gegen sich zu haben. Es gibt also einen wachen, diktaturresistenten Kern in Deutschland, der, so möchte man hoffen, Eingriffen jeglicher Art widersteht.






Thorsten Hinz, Jahrgang 1962, ist freier Publizist und Buchautor. Er studierte in Leipzig Germanistik und war in den neunziger Jahren JF-Kulturredakteur. Über das Corona-Regiment und seine gesellschaftlichen Folgen schrieb er zuletzt auf dem Forum in JF 8/22 („Kontrollierte neue Wirklichkeit“).

Foto: Masketragende Schüler: Propaganda und exekutiver Zwang haben nach zwei Jahren Corona-Politik dazu geführt, daß die meisten Bürger die äußeren Zwänge verinnerlicht haben