© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Ihren Müttern entrissen
Vergessene Morde an deutschen Kindern in Slowenien 1945
Matthias Bäkermann

Studien über die Verbrechen nach Kriegsende 1945 in Jugoslawien stehen in bundesdeutschen historischen Seminaren nicht gerade auf der Prioritätenliste. Dabei würden die erst nach 1990 peu à peu ans Licht tretenden Enthüllungen der Massaker auch an vielen Volksdeutschen nach der Kapitulation am 8. Mai durch kommunistische Tito-Partisanen eine historische Aufarbeitung selbst in ihrer quantitativen Dimension rechtfertigen. Schätzungen des Museums für neuere Geschichte in Laibach (Ljubljana) gehen von etwa 100.000 Opfern unterschiedlicher Nationalität aus, die an über 600 Orten allein in Slowenien getötet wurden. 

Besonders betroffen waren von den Massenmorden neben Angehörigen kombattanter Einheiten des Kriegsgegners der „Volksbefreiungsarmee“ unter Befehl Josip Broz Titos – Gefangene von deutscher Wehrmacht und Waffen-SS, slowenischen Domobranzen oder kroatischer Ustascha – auch viele Zivilisten. Die waren meist Volksdeutsche, die einerseits nach Norden aus Slawonien oder der Batschka (heutige serbische Vojvodina) flüchteten und von vorrückenden Tito-Truppen gestellt wurden, oder andererseits aus der Region des heutigen Sloweniens stammten.

Heute sind diese Nachkriegsereignisse, die sich in dem Schicksalsort Bleiburg an der Drau verdichten, wo Abertausende Kroaten von den Mordbanden des Tito-Oberstleutnants Milan Basta massakriert wurden, besonders in Kroatien Bestandteil des nationalen Mythos. So nimmt es nicht wunder, daß in diesem Kontext die konservative Tageszeitung Narod aus Zagreb jüngst an eine besonders grausame Episode aus den Maitagen 1945 erinnerte (Ausgabe 9. Mai). 

Bereits einen Tag nach der Kapitulation vom 8. Mai errichtete Titos Geheimpolizei (Ozna) unter Leitung des späteren jugoslawischen Innenministers Aleksandar Ranković bei Sterntal (slowenisch Strnišče) ein „Konzentrationslager“ (koncentracijsko taborišče). Die Zustände in dem laut Studien des slowenischen Historikers Milko Mikola mit 12.000 Menschen hoffnungslos überfüllten Lager waren erbärmlich. Neben ständigen Folterungen und willkürlichen Erschießungen starben viele wegen ausbleibender Nahrungsmittel und schnell grassierender Seuchen. Häftlinge waren größtenteils Volksdeutsche aus der umliegenden Untersteiermark, allerdings auch aus dem Rann-Dreieck, wo an den Flüssen Save, Gurk und Sotla nach 1941 Gottscheer, aber auch Südtiroler zur „Festigung des deutschen Volkstums“ an der künftigen Südostspitze des Großdeutschen Reiches angesiedelt worden waren.  

Als sich eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) zu einem Kontrollbesuch ankündigte, holten Rankovićs Schergen gewaltsam 350 Kinder aus dem Konzentrationslager und brachten sie ins 30 Kilometer entfernte Friedau (Ormož). Der Historiker Rajko Topolovec hat das unerforschte Schicksal dieser von Neugeborenen bis 13 Jahre alten Kinder untersucht, die im Versteck vor dem IRK reihenweise verhungerten. Von diesen im Lager Sterntal „buchstäblich aus den Händen ihrer Mütter gerissenen Kindern“, die im Sommer 1945 in umliegenden Wäldern von Friedau verscharrt wurden, konnte Topolovec immerhin 39 Schicksale namentlich zuordnen.