© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Wahlrechtsreform
Wie immer geht es um Macht
Peter Freitag

Ein fettes Parlament ist ein ineffizientes. Viele Abgeordnete bedeuten nicht automatisch viel Demokratie. Im Gegenteil. Viele Abgeordnete bedeuten vor allem hohe Kosten: Diäten, Aufwandspauschalen, Büroräume und vieles mehr. Dazu Ausschüsse, die aus allen Nähten platzen und kaum noch effektiv die Regierung kontrollieren können. Der XXL-Bundestag muß abspecken, doch über die Art der Fastenkur gehen die Meinungen auseinander. Die Ampelkoalition meint, den Stein der Weisen gefunden zu haben: Die Erststimmen deckeln, dafür eine Drittstimme als Zweit-Präferenz einführen. Hä? Ja, klingt kompliziert, ist es auch. Zudem dürfte es eine Frage der Zeit sein, bis das Bundesverfassungsgericht klären muß, warum manche Direktwahl-Sieger leer ausgehen sollen, nur weil ihre Partei woanders weniger Zweitstimmen bekommen hat. Und warum beispielsweise ein CDU-Wähler ankreuzen soll, wer ihm bei der SPD zur Not der liebste wäre, sollte sein christdemokratischer Favorit quasi zu schlecht gewonnen haben. 

Die Unionsparteien sind die Gralshüter der Erststimme. Denn sie stellen in der Regel – vor allem in Bayern – die meisten direktgewählten Abgeordneten. Wird deren Anzahl begrenzt, profitieren davon vor allem die kleinen Parteien, darunter die derzeit mitregierenden. Drehen sich die Mehrheiten wieder, könnte die nächste Reform auf der Tagesordnung stehen. Denn ob der Bundestag nun dicker oder dünner ist, eines gilt immer: Wahlrechtsfragen sind Machtfragen.