© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Zum Reißen gespannt
Nach Wahlniederlagen: In der AfD ist die Stimmung gereizt / Kritik am Vorgehen der Gegner von Parteichef Tino Chrupalla
Christian Vollradt

Vor wichtigen Bundesparteitagen, also jenen mit einer Vorstandswahl, ist die AfD meistens besonders gärig. Die interne „Kakophonie“, an der nach Meinung von Parteichef Tino Chrupalla am meisten die schuld seien, die sie am lautesten beklagen, ist insofern nichts Außergewöhnliches. Derzeit trifft sie allerdings auf eine besonders angespannte Stimmungslage innerhalb der Partei. In zehn Wahlen in Folge zeigte die Stimmenentwicklung zur jeweils vorherigen Wahl nach unten. Das betrifft die Ost- wie die Westverbände, bei letzteren wirkt es sich jedoch gefährlicher aus. Manche Funktionäre versuchen das Phänomen als Normalität zu deuten: Einem ungewöhnlich steilen Aufstieg folge eben eine Konsolidierungsphase, zu der auch vereinzelte Verluste gehören. 

Doch das überzeugt nicht jeden. Eine „miese Stimmung“ nehmen viele Mandatsträger wahr, unabhängig davon, welchem innerparteilichen Lager sie zugeordnet werden. „Die Luft ist ziemlich raus“, wird dann beklagt. Es fehle ein zündendes Thema, das die AfD zusammenschweißt und mit dem sich Wähler mobilisieren ließen. Die Opposition gegen die Corona-Maßnahmen vermochte das nur zum Teil. Und bei der Positionierung in Sachen Ukraine-Krieg prallen gegensätzliche Ansichten hart aufeinander. Gerade hier tritt auch ein starker Kontrast zwischen West- und Ostverbänden zutage. Doch auch die heftige Kritik von Bundesvorstandsmitglied Joana Cotar und ihren Mitstreitern, die Chrupalla die Schuld an den Verlusten geben und öffentlich seinen Rückzug von der Parteispitze fordern (JF 21/22), sorgen intern für Unmut. 

So mußte sich auf der jüngsten Fraktionssitzung insbesondere der ehemalige Parlamentarische Geschäftsführer Jürgen Braun eine Menge von aufgebrachten Fraktionskollegen anhören. „Wenn es die Sache vor dem Parteitag nicht noch weiter angeheizt hätte, hätten wir den Antrag gestellt, Braun aus der Fraktion zu schmeißen.“ Die Fronde habe ihre Macht überschätzt, heißt es. Mit ihrer Frontal-attacke in den Medien hätten Chrupallas lautstarke Gegner ihr Schicksal besiegelt – und ihm damit letztlich sogar noch geholfen, obwohl in der Tat nicht wenige die Kritik inhaltlich teilten.

Für neuen Zündstoff sorgt die Ankündigung von Thüringens Landesvorsitzendem Björn Höcke, möglicherweise für den Bundesvorstand zu kandidieren. Bisher hatte er dieses Szenario bewußt im ungefähren gelassen – und im entscheidenden Moment von einer Kandidatur, die seinen Einfluß meßbar gemacht hätte, abgesehen.  

Die interne Gereiztheit könnte auch einen weiteren Grund haben. Manchen in seiner Partei, so unkt ein AfD-Politiker, seien eben die beiden Haupt-Feindbilder der vergangenen Jahre abhanden gekommen: „Angela Merkel und Jörg Meuthen“.