© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Durchgreifende Kontrolle
EU-weiter Aktionsplan gegen Rassismus: Mit schönen Formulierungen arbeitet die EU an Instrumenten zur breiten Beeinflussung und Steuerung der Bürger in Medien, Schule und Internet
Björn Harms

Von den meisten Resolutionen oder Verordnungen der Europäischen Union bekommt der durchschnittliche Bürger kaum etwas mit. Und doch haben viele dieser Entscheidungen einen dramatischen Einfluß auf das Leben der Bürger in den EU-Mitgliedstaaten. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Rassismus treibt die EU derzeit Beschlüsse voran, die in jeden Lebensbereich eingreifen sollen – ob Kultur, Bildung, Medien oder Sport. Das jedenfalls verspricht bereits der Titel eines am 8. März gefaßten Beschlusses des EU-Parlaments, über den öffentlich bislang kaum berichtet wurde.

Mit 495 zu 109 Stimmen bei 92 Enthaltungen nahmen die EU-Parlamentsabgeordneten eine „Resolution zur Rolle von Kultur, Bildung, Medien und Sport bei der Bekämpfung von Rassismus“ an, die unter anderem fordert, daß Medien aufhören sollen, „stigmatisierende Darstellungen zu verbreiten, die Angehörige bestimmter ethnischer oder rassischer Gruppen entmenschlichen, indem sie beispielsweise Migranten als Ursache für wirtschaftliche und soziale Probleme darstellen“. Tiefergehende Analysen beispielsweise über die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik sollte man sich also künftig besser verkneifen. Die Politiker schätzen es ganz und gar nicht, daß „über von Migranten begangene Straftaten unverhältnismäßig viel berichtet“ wird. Die Abgeordneten schlagen deshalb vor, „die Finanzierung von Medien durch die EU und den Staat einzustellen, wenn die zuständigen Behörden feststellen, daß sie Haßreden und Fremdenfeindlichkeit fördern“. Alle nationalen Regulierungsbehörden sollen zudem die Befugnis erhalten, im „audiovisuellen Bereich“ Programme mit „rassistischen“ Inhalten zu bestrafen.

Viele Formulierungen erinnern an den UN-Migrationspakt von 2018

Doch damit nicht genug: Das Problem ist tiefergehend. Schließlich würden „rassistische und fremdenfeindliche Einstellungen von bestimmten Meinungsführern und Politikern in der gesamten Europäischen Union vertreten“. Da „Schulen eine wichtige Rolle spielen“, sollen deshalb bereits Kinder im frühen Alter über „den Wert der Vielfalt“ belehrt werden. Dazu seien Änderungen in den Lehrplänen nötig, um etwa häufiger „Figuren mit unterschiedlichem rassischen und ethnischen Hintergrund“ einzubauen oder aber im Fach Geschichte einen „gezielteren Ansatz für die Geschichte der in Eu­ropa lebenden rassischen und ethnischen Gemeinschaften“ zu verfolgen. Doch nicht nur die Kinder im Schulunterricht, auch die „breite Öffentlichkeit und die gesamte öffentliche Meinung“ sollen durch „einschlägige Materialien für die Vielfalt unserer Gesellschaften sensibilisiert“ werden.

Viele dieser Formulierungen erinnern stark an den UN-Migrationspakt von 2018, der ähnliche Forderungen aufgestellt hatte – unverbindlich natürlich, wie die Politik damals versicherte. Auch im Kulturbereich sind nun massive Umwälzungen geplant. Die EU will die „Vielfalt in Kultureinrichtungen“ fördern, „sowohl bei den Mitarbeitern als auch im Management, durch die Einführung von Auswahl- und Vergabekriterien in Organisationen, die öffentliche Mittel erhalten“. Ohne verbindliche Quote gibt es also künftig auch keine Steuermittel mehr. Zudem schlagen die Politiker Maßnahmen vor, die nach subventionierten Opern- oder Theaterbesuchen für Migranten klingen: Durch „Gutscheinprogramme“ soll es „Menschen mit unterschiedlichem rassischem und ethnischem Hintergrund“ ermöglicht werden, „an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen“.

EU-Kommission will „strukturellen Rassismus“ bekämpfen

Hauptinitiatorin des Textes ist Salima Yenbou, eine französische Europa-Abgeordnete algerischer Abstammung, die in der Pariser Banlieue Aulnay-sous-Bois aufgewachsen ist. Die 51jährige ist eine ehemalige Grünen-Politikerin, die sich vor wenigen Monaten der Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron angeschlossen hat. „In einer Zeit, in der sich der strukturelle Rassismus als eine der größten Herausforderungen für die EU herausgestellt hat, ist es wichtiger denn je, die Rassismusbekämpfung in allen Politikbereichen der Union zu verankern“, forderte sie bereits im November 2021 in einem ersten Entwurf zu der beschlossenen Resolution.

Eingebettet ist diese in ein langfristiges Projekt der Europäischen Union: denn bereits am 18. September 2020 hatte die EU-Kommission eine neue Initiative vorgestellt. Unter dem Motto „Eine Union der Gleichheit“ präsentierte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, den „EU-Aktionsplan gegen Rassismus 2020–2025“. Für diesen hatte die Kommission laut eigener Aussage „eng mit dem Privatsektor“ zusammengearbeitet. Große Konzerne, die sich in Deutschland etwa in der „Charta der Vielfalt“ zusammengefunden haben, und die üblichen NGOs sind bei derartigen Plänen immer mit an Bord.

Ohne konkret zu werden, zeigte sich die Kommission besorgt über die „jüngsten Ereignisse, bei denen Rassenkonflikte zutage traten“. In den Fußnoten zeigt sich die ganze Widersprüchlichkeit in der Argumentation: „Die Verwendung des Begriffs ‘Rasse’ bedeutet nicht, daß Theorien akzeptiert werden, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen“, heißt es dort. Dennoch ist sich die Kommission sicher: Der „strukturelle Rassismus in der EU“ – ein Phänomen, das laut der Migrationsforscherin Sandra Kostner (Schwäbisch Gmünd) übrigens niemals empirisch belegt werden kann – müsse dringend bekämpft werden.

In ihrem Antirassismus-Plan beschloß die Kommission gegen alle EU-Mitgliedstaaten, die „Haßrede oder die Kriminalisierung von Haßverbrechen“ nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umsetzen würden, bei Bedarf ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Zusätzlich verlangt die Kommission bis Ende 2022 von allen Mitgliedern einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus und Rassendiskriminierung. Vorreiter ist hier Deutschland, das einen solchen Plan bereits 2017 vorgelegt hat. In diesem wurde die Aussage, daß „Zuwanderer das eigene Land zu einem schlechteren Ort zum Leben machen“ oder daß Zuwanderung negative Auswirkungen „auf die heimische Wirtschaft“ haben könnte, bereits als „fremdenfeindliche Einstellung“ gebrandmarkt. Diese Sichtweise übernimmt nun also auch die EU. Bis Ende 2023 will sie ihren ersten Bericht über die Fortschritte bei der Umsetzung der nationalen Pläne vorlegen.

Im Zuge der Vorstellung des Aktionsplans wurde auch erstmals öffentlich verkündet, den Posten einer EU-Rassismusbeauftragten zu schaffen. Die Wahl fiel vor einem Jahr auf Michaela Moua, eine knallharte Ideologin, die jahrelang im antirassistischen NGO-Bereich gearbeitet hatte und laut eigener Aussage über Erfahrung in der „Förderung einer ethnisch gleichen und vielfältigen Gesellschaft“ verfügt. Die 45jährige Tochter einer Finnin und eines Ivorers sieht Eu­ropa nicht als liberale Errungenschaft, sondern als Machtgefüge im Zeichen der „White Supremacy“ („Weiße Vorherrschaft“). Jeder weiße Mensch ist laut einer von ihr auf Twitter geposteten Radikalisierungspyramide praktisch „auf dem Weg“ zum Mord. Es sei denn, er unterzieht sich vorsorglich einer „antirassistischen“ Läuterung.

Mit ihrer Sehnsucht nach absoluter Gleichheit scheint sie auch bei der EU-Kommission auf offene Ohren zu stoßen. Im Aktionsplan droht die Brüsseler Behörde bereits mit juristischer Härte: Die EU verfüge „über Rechtsinstrumente, mit deren Hilfe sie eine echte Union der Gleichheit“ aufbauen könne.

Die EU bringt den „Digital Services Act“ auf den Weg

Ein weiterer zentraler Punkt des Aktionsplans gegen Rassismus ist die digitale Kontrolle. Denn: „Auch im Internet kommt es zu Rassismus“, wie es im Text heißt. Passenderweise haben der Europäische Rat und das EU-Parlament am 23. April den „Digital Services Act“ (DSA) auf den Weg gebracht, mit dem vor allem Diskriminierung im Netz bekämpft werden soll. Euphemistisch wird lieber von einer „Politik der Inhaltsmoderation“ gesprochen. Der DSA könnte laut Branchenexperten zu einem globalen Standard werden, da auch Länder wie die USA Ähnliches planen und mit Interesse nach Europa blicken. Und auch hier stammt die ursprüngliche Idee aus Deutschland, denn die Vereinbarung basiert zumindest teilweise auf dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG.

Das neue Gesetz soll nicht nur für Plattformen wie Facebook, Instagram oder Youtube gelten, sondern setzt bereits eine Ebene tiefer bei Internet­anbietern, Domainnamen-Registrierstellen und Cloud- und Webhosting-Diensten an. Im Fokus stehen dabei „terroristische“ und „rassistische“ Inhalte, aber auch „illegale Haßrede“. Kritische Netzseiten könnten bei nichtgenehmen Inhalten sofort gelöscht werden. „Falls außergewöhnliche Umstände Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit haben“, so die EU-Kommission, dann müßten sogenannte Krisenprotokolle Abhilfe schaffen, „um eine rasche, kollektive und grenzüberschreitende Reaktion im Online-Umfeld zu koordinieren“, wie es im Gesetzesentwurf heißt. Damit sind Ereignisse wie „Erdbeben, Wirbelstürme, Pandemien, oder Krieg“ gemeint, bei denen Webseiten oder Plattformen für „eine schnelle Verbreitung von illegalen Inhalten oder Desinformation mißbraucht werden“ könnten.

Die Kommission will diese Krisenprotokolle gemeinsam mit großen „Online-Plattformen“ entwickeln und gegebenenfalls „die Behörden der Mitgliedstaaten“, „sonstige Stellen der Union“, aber auch „Organisationen der Zivilgesellschaft“ in die „Ausarbeitung, Erprobung und Überwachung der Anwendung der Krisenprotokolle“ mit einbeziehen.

Was die Bürger in Europa in Krisensituationen – wie auch immer diese definiert werden – zu hören und zu sehen bekommen, würde damit komplett in die Hände der EU fallen. Noch allerdings ist keine endgültige Entscheidung gefallen. Das Gesetz muß noch vom Europäischen Rat als der Vertretung der Mitgliedstaaten und vom Europäischen Parlament abschließend gebilligt werden. Nach seiner Verabschiedung soll es dann 15 Monate nach seinem Inkrafttreten oder ab dem 1. Januar 2024 für den gesamten EU-Bereich gelten.

Fotos: Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen (CDU): Beobachtung der Unions-Bürger soll weiter intensiviert werden; Salima Yenbou, französische EU-Abgeordnete, macht Druck: „In allen Politikbereichen der EU verankern“