© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Grüße aus … Bern
Endlich isch Sommer
Frank Liebermann

Es gibt ja Menschen, die lieben den Sommer. Ich nicht. Erst recht nicht in der Stadt. Meine Mitmenschen sehen das anders. Sobald die Sonne scheint, drehen die Berner durch. „Endlich isch Summer!“, strahlt mich eine Nachbarin im Fahrstuhl an. „Ja, super“, lüge ich. Mir ist jetzt schon zu warm für ein Gespräch. Was an der Hitze so toll sein soll, verschließt sich mir. „Endlich Sünnele“, geht die Konversation weiter. Unten angekommen fliehe ich vor so viel guter Laune.

Ich muß in die Innenstadt, ein paar Einkäufe erledigen. Pech gehabt. Heute findet der Berner Grand Prix statt. Zigtausende Menschen rennen den ganzen Tag gestaffelt durch die Stadt. „Die zehn schönsten Meilen der Welt“ nennt der Bewohner das Ereignis. Was daran schön sein soll, verstehe ich nicht. 

Ich habe nichts dagegen, wenn sich Andere körperlich ertüchtigen. Bedauerlicherweise meinen diese dann aber, ungeduscht und übelriechend ihre Einkäufe erledigen zu können, nur um anschließend die Gastronomie zu überrennen. Auf den Heimweg freue ich mich. Die Tram ist klimatisiert. Leider ist sie mit verschwitzten Läufern überfüllt.

Das Gekicke interessiert mich nicht mehr, nachdem ich den Bier- und Bratwurststand entdeckt habe.

Daheim angekommen öffne ich die Fenster. Ausnahmsweise kocht mein Nachbar nicht, er grillt Fisch auf dem Balkon. Um der zweiten Geruchsbelästigung des Tages zu entkommen, beschließe ich aufs Fahrrad zu steigen und eine kleine Runde zu fahren.

Mein Weg führt mich zum Wohlensee, einem kleinen Stausee in der Nähe von Bern. Das Fahrrad rollt den Berg hinunter, der Fahrtwind erfrischt. Unten angekommen bietet sich mir ein Bild des Schreckens. Auf den Wiesen liegen die ersten Nackten. Das ist in fast keinem Fall ein schöner Anblick. Zackig trete ich in die Pedale und fahre weiter in Richtung des in Stillegung befindlichen Kernkraftwerks Mühleberg. Nach der Staumauer bewältige ich einen steilen Anstieg, dann geht es zurück in die Stadt.

Ich komme am Fußballplatz in Brünnen vorbei. Dort rennen zwei Mädchenmannschaften auf dem Platz herum. Das Gekicke interessiert mich nicht mehr, nachdem ich den Bier- und Bratwurststand entdeckt habe. Die zugeführten Elektrolyte lassen meine Laune steigen, auch der Körper regeneriert sich nach der Anstrengung. 

Aber offensichtlich scheint die Sonne den Zuschauern zu heftig auf den Kopf. Jede Entscheidung des Schiedsrichters wird von den anwesenden Eltern wüst bepöbelt. „Setz dini Brille auf“, „biisch blind“, „Absiits“ bis hin zu üblen Beleidigungen reichen die Rufe. Ich flüchte.

Daheim angekommen spüre ich eine Spannung auf der Haut. Unter der Dusche bemerke ich einen Sonnenbrand. Wer jetzt glaubt, mein Leid sei zu Ende, täuscht sich. Gerade eben hat mich die erste Mücke gestochen. Danke, Sommer.