© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Putins kriegerisches Rußland profitiert von den westlichen Sanktionen
Rubel auf Höhenflug
Thomas Kirchner

Kurz nach der Ukraine-Invasion gab es 170 Rubel für einen Dollar. Heute bekommt man den Dollar für nur 63 Rubel – günstiger als die 75, die vor Kriegsbeginn fällig waren. Sberbank-Analysten sehen den Kurs im dritten Quartal sogar bei 50. Im Vergleich zum Euro ist der Rubel so stark wie im Juni 2015. Damit ist die russische Währung die stärkste der Schwellenländer in diesem Jahr, noch stärker als der brasilianische Real, der dank Jair Bolsonaros Inflationsbekämpfung neun Prozent zugelegt hat. Rußlands Inflationsrate liegt bei 17 Prozent – doppelt so hoch wie in den USA, aber weit entfernt von türkischer Hyperinflation. Ohne den starken Rubel wären Importe teurer, die Inflation doppelt so hoch.

Hauptgrund der Rubelstärke sind die westlichen Sanktionen, die Rußland in die Knie zwingen sollen. Zwar sind die Exportvolumen bei einigen Rohstoffen außer Öl rückläufig. Doch die globalen Rohstoffkurse sind noch stärker gestiegen. Wegen der Sanktionen sind auch die russischen Importe geschrumpft. Die Verschuldung ist gering, was sonst Kriegswirtschaften ruiniert. Statt ruinöser Haushalts- und Handelsdefizite verzeichnete Rußland einen Leistungsbilanzüberschuß von 58 Milliarden Dollar im ersten Quartal – mehr als doppelt soviel wie im Vorjahr. Von einer Insolvenz ist das größte Land der Welt weit entfernt. Wladimir Putin lacht sich ins Fäustchen, während die hohen Rohstoffkurse in Westeuropa eine Rezession auszulösen drohen.

Natürlich helfen dem Rubel auch die Maßnahmen der Zentralbank zur Stärkung der Währung. Die Chefin der Bank Rossii, Elwira Nabiullina, soll nach der Invasion ihren Rücktritt eingereicht haben, den Putin aber ablehnte. Sie verdoppelte die Zinsen auf zeitweise 20 Prozent. Jedoch machte sie inzwischen mehr als die Hälfte der Erhöhung rückgängig, ohne daß es dem Rubelkurs geschadet hätte. Die Zahlung der Gasexporte in Rubel sowie Kapitalverkehrskontrollen tun ein übriges: Firmen müssen 80 Prozent ihrer Deviseneinnahmen in Rubel wechseln. Ausländer dürfen keine Wertpapiere verkaufen. Einige Kapitalkontrollen wurden Anfang April wieder gelockert. Doch all dies wäre wirkungslos, gäbe es nicht den hohen Handelsbilanzüberschuß. Deswegen ist der Rubel keine „Potemkin-Währung“, wie ihn manche Beobachter nennen. Wie wenig staatliche Währungsmanipulation ausrichten kann, wenn die Handelsbilanz nicht stimmt, zeigt seit Jahren Recep Tayyip Erdoğan, der trotz immer neuer Finten den Verfall der türkischen Lira nicht aufhalten kann. Ein weiterer, wichtiger Faktor: Führende Bürokraten haben Pläne angekündigt, den Rubel mit Gold und Rohstoffen zu hinterlegen. Der Rubel wäre dann ein stabiler Anker unter weichen Inflationswährungen.

Die Sanktion einer G20-Wirtschaft und eines führenden Rohstoffexporteurs kommt in keinem Lehrbuch vor. Entsprechend schnell müßte man auf das Scheitern der Sanktionen reagieren. Richtig wäre ihre sofortige Lockerung, damit durch niedrige Rohstoffpreise die russische Wirtschaft an die Wand fährt und der Rubelkurs verfällt. Nebenbei würden dann auch Inflation und drohende Rezession im Westen bekämpft. Nichts schadet einem Rohstoffexporteur mehr als niedrige Rohstoffpreise, zumal es mehr als genug Länder in der Welt gibt, die bei den westlichen Sanktionen nicht mitspielen. Doch mangels Führung aus Washington und wegen der „Haltungsdebatte“ in Europa ist eine radikale Kehrtwende unmöglich.