© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/22 / 27. Mai 2022

Kärrnerarbeit im Dienste der Ideengeschichte
Literatur: Der Philosoph Alain de Benoist hat eine fünf Bände umfassende Bibliographie der französischen Rechten vorgelegt
Karlheinz Weißmann

Alain de Benoists „Bibliographie générale des droites françaises“ beginnt mit dem Satz: „Diese Arbeit wurde aus einer Frustration geboren.“ Die Frustration hatte ihre Ursache darin, daß es kein einigermaßen vollständiges Verzeichnis der Arbeiten gewisser Autoren gibt, die man gemeinhin der Rechten zuschlägt. Nicht einmal der Katalog der Pariser Nationalbibliothek, die eigentlich alle Werke in französischer Sprache sammeln soll, sei vollständig. Also habe er, so Benoist weiter, beschlossen, die Lücke zu füllen und jene „Allgemeine Bibliographie der französischen Rechten“ erstellt, die bis dato nicht vorhanden war.

Wichtig ist in diesem Kontext der Plural „droites françaises,“ nicht „droite française“. Denn die Theoretiker, Philosophen, Historiker, Soziologen und Schriftsteller – die Pamphletisten bleiben, abgesehen von dem wirkungsreichen Édouard Drumont, ausgeschlossen – bilden zwar die geistige Elite der Rechten. Die ist im Verständnis Benoists aber kein Uni-, sondern ein Pluriversum. Ihr Spektrum reicht von den großen Konterrevolutionären (zum Beispiel Joseph de Maistre, Louis de Bonald) über die Neo-Royalisten (Charles Maurras, Jacques Bainville) bis zu den abtrünnigen Liberalen (Arthur de Gobineau, Alexis de Tocqueville, Ernest Renan, Gustave Le Bon). Sie reicht von den „rechten Leuten von links“ (Georges Sorel, Georges Valois, Thierry Maulnier) und Nationalisten wie Maurice Barrès bis zu den Faschisten (Pierre Drieu La Rochelle, Lucien Rebatet, Robert Brasillach, Maurice Bardeche), von den intellektuellen Einzelgängern in der Literatur (Charles Péguy, Georges Bernanos, Henry de Montherlant) oder den Wissenschaften (Georges Vacher de Lapouge, Julien Freund) bis zu denen, die sich irgendwo im Bereich zwischen dem einen und dem anderen bewegten wie zum Beispiel der Journalist und Schriftsteller Louis Pauwels. Er war unter anderem Chefredakteur der Zeitschriften Combat, Marie-France und Planète; 1970 gründete er das Le Figaro Magazine, dem er bis 1993 vorstand.

Die einzelnen Abschnitte beginnen mit einem Hinweis Benoists auf die bibliographischen Vorarbeiten, die bereits existieren. Es folgen – in chronologischer Aufstellung – die selbständigen Veröffentlichungen, unter Einschluß der Übersetzungen, dann die Werkausgaben und Anthologien, dann die wissenschaftliche Sekundärliteratur und Hinweise auf eventuell bestehende Vereinigungen, die sich der Pflege des Werkes widmen. So trocken diese Auflistungen wirken mögen, halten sie doch Überraschungen bereit: etwa daß Le Bons „Psychologie der Massen“ nicht nur 29 Auflagen in französischer Sprache erlebt hat und selbstverständlich ins Deutsche, Englische, Italienische, Spanische und Portugiesische übersetzt wurde, sondern auch ins Russische, Ungarische, Rumänische, Polnische, Tschechische, Estnische, Finnische, Lettische, Ukrainische, Slowenische, Serbo-Kroatische, Bulgarische, Griechische, Makedonische, Türkische, Arabische, Japanische, Persische und sogar eine Ausgabe in Urdu erschien, oder daß Henry de Montherlants berühmtester Roman „Die jungen Mädchen“ (1936) eine Gesamtauf-lage von 2,2 Millionen Exemplaren erreichte.

Benoist verfügt über die größte Privatbibliothek Frankreichs

Die erste Auflage der „Bibliographie générale“ von 2004/05 umfaßte vier Bände mit mehr als 2.400 Seiten. Jetzt hat der Verlag Editions Dualpha eine Neufassung gedruckt, die nicht nur Korrekturen und Ergänzungen enthält, sondern auf fünf Bände und mehr als 3.300 Seiten angewachsen ist (Editions Dualpha, Komplettpreis: 200 Euro). Die Hauptursache dafür liegt in der Ergänzung der bisher behandelten Autoren um einige weitere. Hervorgehoben seien der in Deutschland weitgehend unbekannte Edouard Berth, Kampfgefährte Sorels und Verfechter eines „heroischen Sozialismus“, Louis-Ferdinand Céline, die bête noire der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts, Jean Raspail, der Verfasser des „Heerlagers der Heiligen“, sowie Jean Mabire und Dominique Venner, die für die Genese der „Neuen Rechten“ eine wichtige Rolle gespielt haben.

Warum diese Heidenarbeit? Der Verlag schreibt dazu, jede Bibliographie sei „auf ihre Weise ein ‘Erinnerungswerk’. Es hilft dabei, Namen, die eine Epoche geprägt und eine Rolle im kulturellen, literarischen oder intellektuellen Leben gespielt haben, vor dem Vergessen zu bewahren.“ Es biete „ein Panorama, das den Umfang eines Werks offenbart und es ermöglicht, den Einfluß zu bewerten, den es möglicherweise ausgeübt hat“. Auf diese Weise leiste die Bibliographie einen Beitrag zur Ideen-geschichte.

Benoist, dessen Privatbibliothek 150.000 bis 200.000 Bücher umfaßt und damit als größte Frankreichs gilt, hat nicht nur die Entstehung der „Bibliographie générale“ aus einer Frustration erklärt, sondern auch auf die Frustration hingewiesen, die mit der Erstellung eines solchen Verzeichnisses notwendig einhergeht. Das ist trotz der modernen Hilfsmittel unvermeidlich, angesichts der Kärrnerarbeit, die geleistet werden muß. Um so dankbarer sollte man sein, wenn sich jemand findet, der sie verrichtet.